Gebet als spiritueller Widerstand

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Gebet als spiritueller Widerstand.

Im Daniel gibt es eine faszinierende Begebenheit. Dort wird der Prophet Daniel von einem Engel besucht:

Und er (der Engel) sprach zu mir: Fürchte dich nicht, Daniel; denn von dem ersten Tage an, als du von Herzen begehrtest zu verstehen und anfingst, dich zu demütigen vor deinem Gott, wurden deine Worte erhört, und ich wollte kommen um deiner Worte willen. Aber der Engelfürst des Königreichs Persien hat mir einundzwanzig Tage widerstanden; und siehe, Michael, einer der Ersten unter den Engelfürsten, kam mir zu Hilfe, und ihm überließ ich den Kampf mit dem Engelfürsten des Königreichs Persien. Nun aber komme ich, um dir Bericht zu geben

– Daniel 10,12ff

Gott hatte dieses Gebet bereits erhört, allerdings ist trotzdem nicht das eingetreten, was Gott wollte. Warum? Weil ein persischer Engelfürst Gottes Pläne aufhalten konnte. Gott kann aufgehalten werden? Von unsichtbaren Mächten?

Mit dem Begriff unsichtbare Welt können heute viele Menschen nichts mehr anfangen. Das hat etwas mit Weltbildern zu tun (es lohnt sich, dazu den Artikel von Walter Färber zu lesen). Irgendwann ist man auf die Idee gekommen, dass Himmel und Erde zwei (räumlich) getrennte Welten sind. Und weil wir heute weit ins Weltall gucken können, und das All ziemlich leer ist, fällt es schwer, an solch einen Himmel zu glauben. Da oben kommt einfach nichts mehr. Und wenn doch, dann wäre dieser Himmel so weit weg, dass wir getrost davon ausgehen könnten, dass ein solcher Himmel keinerlei Einfluss auf unsere Erde und unser Leben haben wird.

Will man Texte wie den aus Daniel nicht einfach als Mythen oder Märchen abtun, brauchen wir ein neues Weltbild, in dem Himmel und Erde zwar nicht dasselbe, aber doch untrennbar miteinander verbunden sind. Ich nehme daher Walter Winks Vorschlag gerne auf, der von einer unsichtbaren Innenseite menschlicher Institutionen, Systemen und Netzwerken spricht.

Familie, Arbeitsplatz, Schützenverein, Freundeskreis, Krankenhäuser, Staaten, Dörfer – das sind alles Netzwerke. Hier sind Menschen auf eine bestimmte Art und Weise miteinander verbunden. Und diese Netzwerke haben eine sichtbare und eine unsichtbare Seite.

Man kann sich die Gebäude, die Möbel, die Menschen, die Vorgärten ansehen – aber es gibt eben auch eine unsichtbare Innenseite von unseren Netzwerken. Wir nennen das Betriebsklima, Atmosphäre, Stimmung – oder sogar Geist, beispielsweise Mannschaftsgeist. Wir wissen also sehr genau, dass diese Welt eine unsichtbare Innenseite hat.

Und wir wissen, dass diese unsichtbare Innenseite von Systemen nicht neutral ist. In dieser Welt gibt es korrumpierte Mächte, die zerstörerisch sind. Arbeitsplätze können im Griff von unsichtbaren Mächten wie Misstrauen und Angst gefangen sein. Staaten können durch eine unsichtbare Macht der Unterdrückung geplagt werden. Hass, Diskriminierung, Stress, usw. sind alles unsichtbare Mächte, die unsere Netzwerke prägen können.

Das große Problem mit den Mächten ist, dass sie Menschen vereinnahmen und sie gefügig machen können. Mächte verwandeln Menschen in ihr Bild, sie machen Menschen zu Multiplikatoren ihrer selbst. Die Mächte stecken an, sie infizieren uns mit ihrem Virus.

Wenn auf dem Arbeitsplatz Unzufriedenheit, Misstrauen und Missgunst die unsichtbare Innenseite ausmachen, dann werden wir sehr schnell davon mitgerissen. Auch wir werden dann schnell Teil dieser Dynamik und verbreiten dieselbe Stimmung. Deshalb heißt es im Römerbrief: „Und seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern werdet verwandelt durch die Erneuerung des Sinnes, dass ihr prüfen mögt, was der Wille Gottes ist: das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ Vielleicht macht es mehr Sinn, den Begriff „Welt“ durch „System“ zu ersetzen. Paulus meint hier, dass wir uns von den Mächten nicht in den Würgegriff nehmen lassen sollen. Wir sollen uns ihrem Zugriff entziehen. Und das ist eben Gebet.

Wenn wir beten und uns Gott öffnen, dann leisten wir spirituellen Widerstand. Widerstand müssen wir gegen die unsichtbaren Mächte leisten, die uns in ihr Bild verwandeln und zu Multiplikatoren von Zerstörung, Angst, Leid und Tod machen wollen. Stattdessen hilft uns das Gebet, dass wir uns den Klauen dieser Mächte entziehen können und stattdessen ins Bild Christi verwandelt werden.

Etty Hillesum, Holländische Jüdin und Holocaust Opfer schrieb dazu ein paar auf den ersten Blick sehr verstörende Zielen:

Ich will dir helfen, Gott, daß du mich nicht verlässt, aber ich kann mich von vornherein für nichts verbürgen. Nur dies eine wird mir immer deutlicher: daß du uns nicht helfen kannst, sondern daß wir dir helfen müssen, und dadurch helfen wir uns letzten Endes selbst. Es ist das einzige, auf das es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott. Und vielleicht können wir mithelfen, dich in den gequälten Herzen der anderen Menschen auferstehen zu lassen […]. Und mit fast jedem Herzschlag wird mir klarer, daß du uns nicht helfen kannst, sondern daß wir dir helfen müssen und deinen Wohnsitz in unserem Inneren bis zum Letzten verteidigen müssen. Es gibt Leute, es gibt sie tatsächlich, die im letzten Augenblick ihre Staubsauger und ihr silbernes Besteck in Sicherheit bringen, statt dich zu bewahren, mein Gott. Und es gibt Menschen, die nur ihren Körper retten wollen, der ja doch nichts anderes mehr ist als eine Behausung für tausend Ängste und Verbitterung. Und sie sagen: Mich sollen sie nicht in ihre Klauen bekommen. Und sie vergessen, daß man in niemandes Klauen ist, wenn man in deinen Armen ist.”

Diese Worte sind mir an mancher Stelle etwas zu krass („dass du uns nicht helfen kannst“). Aber wenn ich diese Worte mit der Tür-Metapher aus dem letzten Post zusammenlese, dann macht vieles Sinn. Ich mag diese Idee, dass es darum geht, Gottes Wohnsitz in uns zu verteidigen. Und es erleichtert mein Leben, denn manchmal fehlt mir die Kraft, gegen die auf mich anstürmenden Mächte anzugehen. Manchmal geht nicht mehr als zu sagen „Gott, ich möchte dich in meinem Inneren bewahren“. Das Tolle ist, dass dies letztlich reicht.

Aber vielleicht noch ein Gedanken zu dem „du kannst uns nicht helfen“. Es ist nicht so, dass Gott mittellos ist. Gott hat immer Türen, an denen er klopfen kann. Und er hat einen langen Atem, Gott gibt niemals auf zu klopfen. Aber wenn Gott vor so mancher verschlossenen Tür steht, dann wirkt Gott erschreckend ohnmächtig. Ich denke, dass diese Ohnmacht Gottes sehr selten bedacht wird. Dabei sehe ich sie sehr nahe am Kern des Evangeliums. Denn Gottes Ohnmacht zeigte sich nirgends so deutlich, wie am Kreuz. Aber das ist eben keine Ohnmacht, die wirkungslos ist. Am Kreuz sehe ich die Ohnmacht der Liebe. Am Kreuz sehe ich den klopfenden Gott, der vor verschlossenen Türen steht. Seien es die Türen einzelner Menschen, oder eben auch Türen von Systemen und Mächten. Aber ich sehe am Kreuz eben auch den Gott, der immer neue Möglichkeiten schafft. Das ist Auferstehung. Kreuz und Auferstehung zeigen, dass Gott eine andere Art hat, in dieser Welt zu wirken, als wir das vielleicht denken. Aber es zeigt auch, dass diese Art, diese Liebe eine große Kraft hat:

„In ihrer ganzen Wehrlosigkeit und Gewaltlosigkeit ist die Liebe die größte Macht, weil nur sie die Macht der Lieblosigkeit, der Angst und des Todes zu überwinden vermag“.  – Wilfried Härle

Morgen: Die Verwandlung der Mächte


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Kommentare

Eine Antwort zu „Gebet als spiritueller Widerstand“

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