Nach einigen ersten Gedanken zu PEGIDA (Teil 1, Teil 2) nun einige theologische Anmerkungen. Vorab möchte ich aber noch zwei Posts vom Arne bewerben, in denen er sich mit PEGIDA auseinandersetzt. Besonders der Ansatz der “Fluiden Moderne” ist lesenswert.
Nun aber weiter im Text.
Antakya
hieß in der Antike Antiochia. Die Stadt liegt in der heutigen Türkei, damals war es das antike Syrien.
Sie war eine der drei Weltmetropolen der damaligen Zeit. Eine riesige Stadt mit über 500.000 Einwohnern. Bunt. Multikulturell.
Hierhin flohen einige der ersten Nachfolger Jesu, nachdem es in Jerusalem eine erste Christenverfolgung gegeben hatte. Schnell entstand hier das neue Zentrum der Bewegung, deren Anhänger man hier das erste Mal „Christen“ nannte.
Eines Tages hatten sich einige der einflussreichsten Führungspersonen der Bewegung verabredet. Petrus und Barnabas wollten zusammen mit einigen anderen Christen aus der Stadt zusammen essen.
Hatte ich erwähnt, dass Antiochia überaus multikulturell gewesen ist?
Diese christliche Gemeinde in Antiochia bestand jedenfalls aus ganz unterschiedlichen Menschen, mit unterschiedlicher Herkunft, Juden wie Heiden gehörten dazu.
Jetzt passierte etwas unerwartetes. Jakobus, einer der führenden Christen aus der Gemeinde in Jerusalem, hatte einige Juden nach Antiochia geschickt. Das waren Hartliner, die sich in wichtigen Punkten mit Paulus, der später von der ganzen Aktion mitbekommen hatte, nicht einig waren. Hauptsächlich ging es um eine Frage danach, ob man erst Jude werden müsse, um zu Gottes Volk gehören zu können. Jedenfalls war Ärger vorprogrammiert.
Und um diesen Ärger zu umgehen, trifft Petrus eine weitreichende Entscheidung. Er zieht sich von seinen heidnischen Mitchristen zurück und tut so, als ob er nur mit Juden essen würde. Die anderen jüdischen Gäste taten es ihm gleich. Auch sie zogen sich zurück.
In der antiken orientalischen Kultur war Essen mehr als Essen. Es ist eines der stärksten kulturellen Symbole von Zugehörigkeit. Die Gastfreundschaft zu versagen ist ein Unding, ein Tabubruch.
Wenn Petrus also vorgibt, sich von Nichtjuden abzugrenzen, indem er mit ihnen nicht isst, dann ist das ein sehr starkes Statement.
Paulus erzählt diese Geschichte im Brief an die Galater. Er erwähnt, dass er Petrus vor der gesamten Gemeinde extrem deutlich gesagt hat, dass er dieses Verhalten völlig daneben findet.
Aber er macht auch deutlich, dass diese Begebenheit mit Petrus symptomatisch für die große Krise des Urchristentums schlechthin steht. Wie die meisten Gemeinden, so hatten auch die Galater damit zu kämpfen. Es ging dabei um nichts weniger, als um den Kern des christlichen Glaubens. Daher kommt Paulus in seinem Brief erstaunlich schnell auf den Punkt:
Ich wundere mich, wie schnell ihr euch von dem abwendet, der euch zum Glauben gerufen hat! Durch Christus hat er euch seine Gnade erwiesen, und ihr kehrt ihm den Rücken und wendet euch einem anderen Evangelium zu. Dabei gibt es doch überhaupt kein anderes Evangelium! Es ist nur so, dass gewisse Leute euch in Verwirrung stürzen, weil sie versuchen, das Evangelium von Christus auf den Kopf zu stellen.
– Galater 1,6
Worin bestand die Krise, worin das Abkehren vom eigentlichen Evangelium? Das sagt Paulus direkt im Anschluss:
´Es stimmt,` unserer Herkunft nach sind wir Juden; wir sind keine „Sünder“ wie die Menschen heidnischer Abstammung. Aber wir wissen ´jetzt`, dass der Mensch nicht durch das Befolgen von Gesetzesvorschriften für gerecht erklärt wird, sondern nur durch den Glauben an Jesus Christus.
Galater 2
Ein kleiner gedanklicher Bogen, aber bleibe am Ball. Ich komme gleich zum Zusammenhang. Zuerst ein entscheidender Hinweis:
Das Befolgen der 613 jüdischen Gebote war eine kulturelle Angelegenheit. Diese Art zu leben diente als „Boundary Marker“, also als kulturelle Abgrenzung von anderen, bzw. als identitätsstiftende Grenzmarker. Wer die Gebote befolgte, der zeigte dadurch, dass er zum Volk Gottes gehörte. Die Gebote der Thora waren ganz entscheidend für die kulturelle Identität des Judentums. Neben der jüdischen Lebensweise (Thora) gehörte aber auch der Tempelgottesdienst, die jüdische Abstammung und das Land zu den Symbolen, die im Besonderen die jüdische Identität bestimmten.
Dabei gibt es einen Unterschied zwischen dem Eintritt in Gottes Volk und den Merkmalen der Zugehörigkeit. Hier gibt und gab es oft Missverständnisse. Den Juden wurde nachgesagt, dass sie eine Religion der Werksgerechtigkeit vertreten würden, sich also über Werke den Himmel verdienen wollten. Diese Sichtweise ist zwar im Christentum weit verbreitet, aber sie wird dem jüdischen Glauben nicht gerecht. Als Jude erarbeitet man sich nicht durch Gesetzeswerke den Himmel, sondern erfreut sich Gottes Erwählung in Abraham.
Hätte man also einen Juden zur Zeit Jesu gefragt, was es rechtfertigt zu sagen, dass man zum Volk Gottes gehört, so hätte dieser sicher so etwas geantwortet wie:
Ich gehöre zu Gottes Volk, weil Gott uns in seiner Gnade erwählt hat (Eintritt). Aber dass ich zu Gottes Volk gehöre erkennt man daran, dass ich nach der Thora lebe, in den Tempel gehe, das jüdische Land meine Heimat ist und jüdischer Abstammung bin (Grenzmarker).
Die revolutionäre Idee von Jesus war nun, dass er neu definiert hat, was es heißt, als Mitglied des Volkes Gottes zu leben. Nicht mehr die 613 Gesetze der Thora, nicht mehr der Tempel, nicht mehr das Land – sondern Jesus selber würde die Identität des Volkes Gottes ausmachen.
Paulus formuliert das etwas technisch: Aber wir wissen ´jetzt`, dass der Mensch nicht durch das Befolgen von Gesetzesvorschriften für gerecht erklärt wird, sondern nur durch den Glauben an Jesus Christus.
Die Begriffe „gerechtfertigt“, oder „für gerecht erklärt“ meinen im Grunde genau das: Daran mache ich meine Identität als Mitglied des Volkes Gottes fest.
Nun hatte es mehrfach handfeste Auseinandersetzungen gegeben, die ersten Christen stritten sehr intensiv darüber, ob die Nachfolger Jesu nicht auch beschnitten werden müssten und die jüdischen Gesetze halten müssten – so die Position der Hartliner. Paulus hat sich dagegen intensiv dafür eingesetzt, kulturelle Barrieren abzubauen und so die Tür für Heiden weit aufzumachen. Sie sollten nicht erst gewaltige Hürden überwinden müssen, um zu Gottes Familie dazugehören zu können. An dieser Fragestellung würde sich entscheiden, ob die Jesus-Bewegung sich auf eine kleine Gruppe von Juden erstrecken und bald in der Bedeutungslosigkeit verschwinden würde, oder ob sie sich in der ganzen Welt verbreiten würde.
Eigentlich hatte Petrus das verstanden. Und er war auch zur Überzeugung gekommen, dass man es für die Heiden bezogen auf kulturelle Barrieren möglichst einfach machen sollte, zum Glauben an Jesus zu kommen. Aber dann verweigert er den Christen in Antiochia die Tischgemeinschaft und sagt damit: Ihr lebt nicht wie Juden, also gehört ihr nicht zu Gottes Volk.
Im Galaterbrief nutzt Paulus nun erstaunlich harte Worte, um gegen dieses Denken vorzugehen: Wer immer noch auf das Gesetz vertraut, stehe unter einem Fluch (Galater 3)! Später im Galaterbrief bringt Paulus diesen Gedanken noch einmal auf den Punkt:
Hier gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Griechen, zwischen Sklaven und freien Menschen, zwischen Mann und Frau. Denn durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle zusammen ein neuer Mensch geworden. Wenn ihr aber zu Christus gehört, dann seid ihr Nachkommen Abrahams und seid damit – entsprechend der Zusage, ´die Gott ihm gegeben hat` – seine ´rechtmäßigen` Erben. – Galater 3,28
Kann man sich vorstellen, welche Argumente von Seiten der Hartliner gegen Paulus Position vorgebracht wurden?
- Wir verlieren unsere christlich-jüdischen Wurzeln.
- Fremde, heidnische Einflüsse werden sich breit machen.
- Das Zusammenleben wird dann viele Probleme machen.
- Die Neuen werden sich nicht vernünftig benehmen.
Waren diese Hartliner so etwas wie Kulturalisten? Vielleicht nicht. Es ist mir schon klar, dass der Vergleich zwischen Antiochia und Dresden nicht unproblematisch ist. Folgender Gedanke ist mir dennoch wichtig geworden. Für die Krise der ersten Christen war es von entscheidender Bedeutung, dass sie kulturelle Grenzen überwinden lernten. Sie mussten damit zurecht kommen, dass ihr Glaube ihren kulturellen Raum erweiterte und daher fremde Menschen dazustehen konnten. Das Ergebnis war keine Assimilation, sondern ein „neuer Mensch“ oder ein neues Menschsein.
Für mich hat Miroslav Volf in seinem wirklich phantastischen Buch „Von der Ausgrenzung zur Umarmung“ sehr schön veranschaulicht, was das heißt. (Eine gute Zusammenfassung findet man hier). Volf nennt es eine Theologie der Umarmung. Eine Umarmung hat vier Phasen:
1. Oeffnen der Arme: Raum schaffen für andern, Einladung zum Eintreten
2. Warten: auf eine Antwort, eine Reaktion
3. In Arme schliessen: es braucht zwei Arme für eine Umarmung
4. Arme wieder öffnen: erneut Raum schaffen und Differenz zulassen
Die Umarmung ist eine tolle Metapher dafür, wie auch wir heute dieses „neue Menschsein“ leben können, von dem Paulus im Galaterbrief redet. Dazu laden wir den anderen ein, wir schaffen Raum. Jede Öffnung ist dabei ein Risiko und macht verletztlich. Nimmt der andere die Einladung an, können sich beide in die Arme schließen. Es kommt zu Nähe und Verbundenheit, aber man gewahrt immer noch die Grenze des anderen, man erdrückt den andern ja nicht und klammert nicht. Und schließlich lässt man den anderen wieder los und lässt Differenzen zu.
– Jason
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.