Was wir mit der Bibel anfangen können #Teil 9

 

#Frauen

Vor einiger Zeit habe ich nette Leute kennengelernt, die aber nicht Teil unserer Community werden wollten, denn wir vertreten den Ansatz, dass Männer und Frauen die gleichen Lehr und Leitungsaufgaben übernehmen können. Wo liegt das Problem? Die Bibel sagt ganz klar, dass beides für Frauen nicht erlaubt ist. Ihr nehmt die Bibel nicht so richtig ernst?

Dann hat es vor einiger Zeit ein anderes Gespräch gegeben. Da wunderte sich jemand, dass wir überhaupt erwähnt haben, dass Frauen und Männer die gleichen Möglichkeiten haben, sich in der Community einzubringen und zu leiten. Muss so etwas nicht selbstverständlich sein? 

Schließlich leben wir im Jahr 2013. Wir haben zum wiederholten Mal eine Frau als Regierungschefin gewählt. Patriarchale Denkweisen haben wir in unserem Land hinter uns gelassen. Gleiche Rechte und Möglichkeiten, so sehen wir das heute. Nur die Christen haben das mal wieder nicht mitbekommen?

Und wie so oft liegt die Ursache des Konflikts darin, wie wir mit der Bibel umgehen. Dazu einige Gedanken.

Man könnte danach fragen, wie der Text funktioniert hat. Zu welcher Veränderung der damaligen Situation lädt der Text ein und was ist der Idealzustand, auf den solch eine Veränderung hinauslaufen soll?

Diese Sichtweise bleibt nicht beim Text stehen, sondern sucht einen Fluchtpunkt, der vielleicht gar nicht mehr im Bild zu finden ist.

Soll heißen: Was ist, wenn der biblische Text eine gesellschaftliche Entwicklung anstoßen oder bestärken sollte, deren Ziel in der Schrift aber noch gar nicht bekannt oder näher ausgeführt worden war? Was wenn wir maximal einige Andeutungen dessen finden, wie Gott sich die Welt vorstellt, der Geist Gottes durch die Schrift aber eine Bewegung auf dieses Ziel vorantreibt?

So kommen wir zu neuen Ergebnissen. Wir werden nicht versuchen, möglichst viele Bibeltexte möglichst genau in unser Leben übertragen. Stattdessen werden wir auf das übergeordnete Ziel sehen und uns Fragen, wie wir heute einen Schritt weiter in diese Richtung gehen können. Nehmen wir uns einen Text vor, der die Frage von Gleichberechtigung angeht:

Eine Frau soll in der Stille lernen, in aller Unterordnung. Ich erlaube aber einer Frau nicht, zu lehren, auch nicht, dass sie über den Mann herrscht, sondern sie soll sich still verhalten. Denn Adam wurde zuerst gebildet, danach Eva. Und Adam wurde nicht verführt, die Frau aber wurde verführt und geriet in Übertretung

– 1.Timotheus 2

Wenn man aus diesem Text entnehmen will, dass Frauen in der Gemeinde keine Lehr- oder Leitungsaufgaben wahrnehmen können, dann scheint das zunächst nachvollziehbar. Es steht doch da.

Aber wie hat der Text funktioniert?

Zunächst zum historischen Kontext.

Im ersten Jahrhundert war der Gottesdienst klar nach Geschlechtern getrennt gehalten worden. Dort hatten Frauen einen eigenen Bereich. Lehren war für sie Tabu. Die Rabbiner hatten vielmehr gesagt, dass „Wer dem Rat einer Frau folgt, der verfällt dem Gehinnom (der Hölle)“ (bBM 59a). Der Bibeltext aus Timotheus ist einfach auf Höhe seiner Zeit. (Offensichtlich haben sie aber in ihrem Bereich manchmal für Unruhe gesorgt, so dass Paulus die Frauen in Korinth zum Schweigen während der Gottesdienste auffordert – 1.Kor 14)

Der Text hier spricht aber von mehr, als von Gottesdienst. Es geht um Jüngerschaft. Damals wahr es  üblich, dass jüdische Rabbiner einen Talmidim hatten, einen Kreis von Schülern, die er ausgebildet hatte. Auch Jesus hatte einen Talmidim von 12 Schülern. Paulus redet hier von Unterrichten im Sinne der Jüngerschaft, nicht im Sinne der Predigt. Lehren war ein Diskutieren mit dem Lehrer, eine Mischung aus Fragen, Antworten und Zuhören in kleiner Runde.

(Spannend: An einer anderen Bibelstelle war dieses Jüngermachen offensichtlich kein großes Problem. In Apostelgeschichte 18 lesen wir von Aquilla, die mit ihrem Mann einen gewissen Apollo im Glauben unterrichtet hat…)

Der Text scheint jedenfalls in seiner Entstehungszeit keine Einschränkung vorgenommen zu haben, die nicht ohnehin gesellschaftliche Realität war. Frauen haben im jüdischen Gottesdienst nicht gelehrt. Sie waren auch keine Rabbiner und hatten keine Talmidim.

Für unseren Text ist nun interessant, dass in den rabbinischen Schriften Frauen untersagt wurde, die Thora auch nur zu studieren. Man kann beispielsweise lesen: „Wer seiner Tochter die Thora lehrt, lehrt sie Ausschweifung“. (mSot 3,4).

Jetzt fällt auf, dass ein Lehrverbot eher nicht so ungewöhnlich gewesen sein konnte. Aber der erste Satz, der hatte es in sich!

Eine Frau sollte unbehelligt lernen dürfen? Sie sollte in den Lehrdialog einsteigen dürfen? Mitreden?

Das ist ein deutlicher Schritt – weg von damaliger jüdischer Praxis. Aber worauf zielte der Schritt wirklich? Paulus ist in einer Entwicklung einen Schritt in die richtige Richtung gegangen. Aber ist er am Ziel angelangt? Und wohin bewegen wir uns jetzt, 2000 Jahre später?

Der Fluchtpunkt liegt nicht in Diskriminierung bestimmter Menschen, sondern in Freiheit und Gleichberechtigung.

Dahin möchten wir weitere Schritte gehen.

– Jason


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Kommentare

3 Antworten zu „Was wir mit der Bibel anfangen können #Teil 9“

  1. Avatar von sörenk
    sörenk

    Klingt auf den ersten Blick plausibel. Die Bibel im historischen Kontext deuten. Nur, wenn man das anfängt, muß man es treiben:
    Wer legt fest, wann welche Bibelstellen kulturell/Historisch zu deuten sind, und wann haben sie auch mir im Jahr 2014 direkt was zu sagen?
    Nun, einmal ist es sehr hochmütig zusagen, „wir sind im Jahr 2014!“ Dahinter steckt die Einbildung, wir wären in irgend einer Weise
    weiter als die Menschen früher. Das einzige worin wir weiter sind als die Menschen früher, ist in der Entfernung von Gott! Und die Folgen
    unseres geschickten Selbstbetrugs sehen wir im Jahre 2014 an unser zerstörten immer kaputteren Gesellschaft.
    Heute gibt es nichts mehr standfestes, Abstimmen bis es passt ist die Devise in der Politik und das haben wir übernommen in den „christlichen“, also „evangalikalen“ Bereich: Auslegen, bis es passt! Sich Erklärungen herbeizaubern, bis die Bibel so ist, daß ich bleiben kann wie ich bin!

    Dabei geht es im Wort Gottes um was anderes: es geht darum, daß wir Christen der Welt sterben, absterben.
    1. Johannes 2, 15: Habt nicht lieb Die Welt, noch was in ihr ist!

    Wer hat denn die Bibel geschrieben? War es nicht Gott, der durch seinen heligen Geist Menschen berufen und ausgerüstet hat,
    SEINEN Willen für uns in schwarz auf weiß zu fassen? Ist es nicht Gottes Wille, und wohnt Gott nicht in einem unzugänglichen Licht,
    ist bei ihm denn nicht kein Wechsel von Licht und Schatten (Jakobus 1,17), schreibt er denn nicht die Bibel aus der Ewigkeit,
    also aus einer Position die über aller Zeit und allem Raum steht, so daß sie zu allen Zeiten und für alle Menschen gedacht wäre?

    Möchte man hieraus eine Antwort so gibt es auch die: Matth.7, 24-27
    Wer diese meine Worte hört und handelt danach….
    Und Jesus Christus sagt klar an anderer Stelle:
    Selig wer sich nicht an mir ärgert!
    Das Christentum ist und bleibt ein Ärgernis dem natürlichen, fleischlichen Menschen, da helfen auch nicht die besten
    Umdeutungs- und Erklärungsversuche, beide Welten, nämlich Fleisch und Geist vereinen zu wollen.
    Die ist Gott selbst ein Gräuel…
    gruß!
    sörenk

  2. Avatar von wirsindmosaikde

    Servus SörenK,
    dein Kommentar fasst recht gut zusammen, was die Kritikpunkte und Schwachstellen der hier beschriebenen Auslegungsweise sind. Ich habe deine Punkte einmal aufgenommen und werde morgen dazu einen neuen Post veröffentlichen.
    – Jason

  3. […] letzter Zeit habe ich mehrere Posts über einen progressiven Ansatz erfasst, wie wir mit der Bibel umgehen können. Sörenk hat in […]

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