#Urflut
Für manche ist das mit der Bibel eine Wahl zwischen Glaube und Verstand. So mancher hat ganz besondere Erfahrungen gemacht, oder ist in Berührung mit so wundervollen „Dingen“ gekommen, die man nicht in Worte fassen kann, solche Momente, wo alles irgendwie zusammenpasst.
Spirituell.
Übernatürlich.
Wundersam.
Nicht von dieser Welt.
Ein gewisses Etwas.
Für manche macht es da nur Sinn, davon auszugehen, dass da mehr sein muss.
Das ist eine Erfahrung.
Und dann liest man in der Bibel von einem Propheten, der Feuer vom Himmel regnen lies. Dann wird ein ganzes Volk durch Brot aus dem Himmel versorgt. Dann wird ein Meer geteilt. Dann bleiben Sonne und Mond an ihrer Stelle stehen, bis eine Schlacht gewonnen war. Dann wird ein Mann von einem Fisch verschluckt und ans andere Ende der Welt gebracht. Ach ja – und vorher ist die Erde in sechs Tagen erschaffen worden…
Märchen?
Mythen?
Bloß Geschichten?
Wie soll man das im Jahr 2013 noch ernst nehmen?
Das ist eine andere Erfahrung.
Dann hörte ich jemanden einmal sagen: Wenn die Welt nicht in sechs Tagen erschaffen wurde, dann kann Jesus auch nicht am Kreuz gestorben sein – dann können wir die ganze Bibel vergessen, weil dann alles nicht stimmt.
Die Qual der Wahl.
Die offensichtliche Wahl ist, die Bibel mit einer rationalistischen Brille zu lesen: Wir reduzieren diese Welt auf das, was wir kennen und erklären können. Wunder und übernatürliche Dinge fallen raus. Uns so lesen wir dann auch die Bibel. Wir legen die Bibel auf den Seziertisch und schneiden alles aus, was nach märchenhaftem Mythos klingt.
Und so werden Bibel und Glaube immer dünner. Und Gott immer kleiner.
Mir selber gefällt diese Sicht allerdings gar nicht. Sie sieht mir viel zu kurz. Wissen wir denn wirklich so umfassend viel? Mir scheint, macht man sich auf den Weg, dann wird diese Welt zu einem übergroßen, nicht fassbaren Mysterium. Vielleicht haben wir in unserer technisierten Welt unseren Blick dafür verloren, dass es viel viel mehr gibt. Gibt es mehr? Bestimmt, ganz bestimmt.
Andererseits scheint mir, dass der mancherorts geführte Grabenkampf zwischen Glaube und Verstand, den Blick für das Wesentliche versperren kann.
Nehmen wir beispielsweise den Anfang, den Schöpfungsbericht. Wozu gibt es diesen Text? Und was sollte er bei den ersten Adressaten bewirken? Wie hat er damals funktioniert? Denn eines ist sicher, wer auch immer diesen Text zuerst zu lesen bekam, hatte keinen Schimmer von soetwas wie Evolution. Mag dieser Text heute als Prüfstein gelten, ob jemand eher der Bibel glaubt, als der Wissenschaft, so gab es dieses Problem in der Entstehungszeit des Textes nicht. Worum ging es denn dann?
Die Schöpfungsgeschichte ist im babylonischen Exil entstanden. Israel war von den Babyloniern besiegt und verschleppt worden. Babylon, das war der Innbegriff für zerstörerische Mächte. Wie ist es wohl für diese Juden gewesen, von diesen Mächten besiegt zu werden?
Du bist besiegt und gedemütigt.
Man erklärt dir
dein Gott war denen der anderen unterlegen
oder er hat in diesem Land nichts zu sagen.
vergiss deinen alten Gott
vergiss deine Heimat
vergiss deine Identität
Glaube stattdessen an den Gott der Babylonier
folge Marduk
nicht Yahwe.
In dieser Zeit entstand unter den jüdischen Weggeführten ein kompliziert gereimtes, wunderschönes Lied. Poesie. Dieser Hymnus handelte über ihren Gott.
Das Lied beginnt mit diesen Worten:
Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.
Dieser Vers beschreibt die Situation, bevor das Schöpfungswerk beginnt. Für moderne Menschen ist das Gegenstück zur Schöpfung das Nichts, ein Vakuum. Aber in der Antike war das nicht so. Hier war das Gegenstück etwas sehr bedrohliches, eine aktive, bösartige Kraft, die Chaos anrichtete. Diese dunklen Mächte werden in dem Lied als eine wirre finstere Urflut beschrieben.
Am dritten Tag sammelte Gott die Wassermassen dieser Urflut und wies sie in die Schranken. Der Schöpfungsprozess bestand darin, die Wassermassen zu unterwerfen und aus dem Chaos etwas Schönes zu schaffen.
Die radikale Botschaft dieses Liedes ist nicht, dass Gott aus dem Nichts schafft – die radikale Botschaft ist, dass Gott die Mächte des Chaos besiegen kann. Dass er Schönes schafft, wo Zerstörung die Oberhand gewinnt.
Wie klingt solch ein Lied in den Ohren eines Menschen, der in Babylon lebt? Zu was für einer Art Glauben lädt dieses Lied dann ein?
Die Frage ist nicht, ob wir uns auf Naturwissenschaften einlassen dürfen.
Die Frage ist, was tust du, wenn du von übermächtiger Dunkelheit umgeben bist,
die Urflut dir bis zum Hals steht,
wenn alle Stimmen sagen
gib auf.
Du hast verloren.
Du bist besiegt.
Du gehst unter.
Die wirklich wichtige Frage in Genesis 1 ist, ob wir dann mitsingen können.
– Jason
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