Der Begriff ist vielfach nicht so gerne gehört, da er auch im Zusammenhang mit islamischem Extremismus benutzt wurde. Ich finde ihn dennoch sehr treffend, weil es meiner Meinung nach genau um die Frage nach dem Fundament geht. Viele würden auf die Frage, was für den christlichen Glauben das Fundament ist, auf die Bibel verweisen. Viele Diskussionen gestalten sich dabei als schwierig heraus, weil es letztlich nicht darum geht, was das Fundament des christlichen Glaubens ist, sondern weil die Metapher des Fundaments problematisch ist. Nancy Murphy erklärt dabei in ihrem Buch Anglo American Postmodernity sehr treffend, welches Gedankenkonzept hinter dem Fundamentalismus steckt. Ihr Zugang ist eher philosophisch als theologisch, dennoch hilft er enorm:
„Fundamentalismus ist eine Theorie über Erkenntnis. Genauer gesagt ist es eine Theorie darüber, wie Behauptungen begründet werden können. Wenn wir versuchen, einen Glauben zu begründen, dann stellen wir dazu eine Verbindung zu etwas anderem Geglaubtem her (wir basieren unsere Behauptung auf einem anderen Glauben oder ziehen zur Rechtfertigung aus einem Glauben einen Rückschluss). Werden wiederum diese, zur Begründung herangezogenen Glaubenssätze, hinterfragt, dann müssen sie ebenfalls begründet werden. Der Fundamentalismus behauptet nun, dass diese Kette von Begründungen an irgendeiner Stelle stoppen muss; sie darf kein Zirkelschluss sein oder ein unendliches Hinterfragen erzeugen. Stattdessen muss das Hinterfragen an einem Glaubensfundament enden, das selber aber nicht hinterfragt werden darf.“
Wer dieser Logik folgt, wird möglicherweise sagen, dass die Bibel das Glaubensfundament ist, das nicht hinterfragt werden darf. Der Fundamentalismus muss zudem von einer inneren Einheit der Bibel ausgehen, die oft mit den Begriffen Irrtumslosigkeit oder Unfehlbarkeit mitgedacht wird. Die Bibel darf keine Widersprüche enthalten. Gerät dieses Fundament ins Wanken, dann kollabiert alles, was darauf gebaut wurde, wie ein Kartenhaus. Kein Wunder, dass christliche Fundamentalisten um jegliche Bibelkritik einen Bogen machen und sich auf diese Argumente nicht einlassen (das ist übrigens keine Behauptung von mir, sondern von McGrath Weg der Theologie). Aber diese Argumente können eben nicht einfach ausgeblendet werden, heute werden Jugendliche in der Schule mit ihnen konfrontiert und wer sich ein bisschen informiert wird mit ernsten Anfragen an die Bibel konfrontiert sein. Mich selber hat es immer gestört, wenn eher liberale Autoren angeprangert wurden, nur damit man sich hüten sollte, sie zu lesen. Einerseits sind Lese- und Denkverbote entmündigend, darüber hinaus müsste die Bibel doch jeglichen Anfragen gewachsen sein. Auf welche Weise auch immer, für nicht wenige Christen mit fundamentalistischer Prägung setzt irgendwann ein Prozess der Dekonstruktion ein, in dem kritische Anfragen an die Bibel zugelassen werden.
Dieser Prozess wird im Fundamentalismus verteufelt – und zwar im wahrsten Sinn des Wortes. Denn wer die Bibel hinterfragt, der würde die Frage des Teufels zulassen: „Sollte Gott gesagt haben?“. So kann es zu einem inneren Konflikt zwischen Vernunft und Schrift kommen: Kann man sich auf kritische Anfragen einlassen, die einfach nur Sinn machen, oder muss man seinen Verstand als eine teuflische Versuchung ansehen und “abstellen”? Aber wie lange geht das? Es ist wie mit einem Puzzle, bei dem die Teile nicht zusammenpassen. Eine Zeit lang kann man die Teile passend machen, aber irgendwann muss man anerkennen, dass die Teile zu unterschiedlichen Bildern gehört. Aber ist dann der Sinn des Puzzles nicht verloren gegangen?
Der Prozess der Dekonstruktion kann mit dem Schälen einer Zwiebel verglichen werden. Fängt man mit einer kritischen Anfrage an und lässt sie zu, dann verliert die Zwiebel eine Schale. Nur wird noch etwas vom Glauben übrig sein, wenn man diesen Prozess bis zum Ende durchzieht? Sieht man nicht an der Geschichte der protestantischen Theologie, dass man sich hier von jeglichem Glauben verabschiedet hat? Ich meine nicht. Fundamentalismus ist zudem nicht auf die Religion beschränkt. Er war in der Moderne vielmehr die gängige Art zu Denken, eine philosophische Strömung. Aber nach der Moderne kam etwas anderes, einige nennen es Postmoderne, andere Poststrukturalismus. Es ist jedoch absurd zu meinen, dass nachdem die Philosophie sich von den absoluten Narrativen der Moderne (wie beim Puzzle das große Bild) verabschiedet hat, die Philosophie am Ende wäre. Natürlich geht es weiter.
Um mit dem Bild der Zwiebel zu bleiben, was Stück für Stück abgeschält wird, ist nicht der Glaube an sich, sondern Mechanismen, die Sicherheit bieten sollen. Fundamentalismus baut auf einer falschen Annahme, nämlich der, dass sich unsere Welt sicher begründen lässt. Die Frage ist nicht, ob die Bibel oder der christliche Glaube an sich das sichere Fundament ist, sondern ob es überhaupt solch ein sicheres Fundament gibt. Der Fundamentalismus bietet ein System, was die Komplexität der Welt überschaubar macht. Der Preis dafür ist, dass man ab einer bestimmten Stelle nicht mehr Fragen darf. Aber dafür liefert er auf alle Fragen eine Antwort. Und das gibt vermeintlich Sicherheit. So stellt der Fundamentalismus uns vor falsche Alternativen: Entweder, das Fundament ist unantastbar, oder das ganze Gebäude kracht zusammen. Entweder die ganze Bibel ist irrtumslos, fehlerlos und absolut wahr, oder alles ist falsch. Nur so kann man Sätze verstehen wie, dass wenn die Erde nicht in sechs Tagen erschaffen worden ist, dass man dann auch direkt Jesus und die Erlösung vergessen kann. Was sich hier zeigt, ist die mangelnde Bereitschaft, mit offenen Fragen, Unsicherheit und Kontrollverlust umzugehen. Es stimmt einfach nicht, dass wer sich den kritischen Anfragen an Bibel und Glaube stellt, bei alles oder nichts landet. Ich meine, dass der christliche Glaube nicht dafür gedacht war, damit wir die komplexe Welt auf ein paar sichere Glaubenssätze reduzieren können und so die Kontrolle über das Leben haben. Diese Kontrolle gibt es nicht, niemand kann sie inne haben. Jesus dagegen nimmt Menschen immer wieder alle Sicherheit und ruft zu einem Leben, was riskant und im Ausgang offen ist. Was sonst meint es, dass der Nachfolger sein Kreuz auf sich nehmen muss? Jesus nachzufolgen nimmt das Leben in seiner Umvorhersehbarkeit und Unüberschaubarkeit ernst. Es gibt hier ganz viel Raum dafür zu sagen: ich weiß es nicht. Als Christ findet man nicht automatisch die besseren Antworten, man muss wie alle anderen auch um Wahrheit ringen. Und man kann falsch liegen, auch das gehört dazu. Was aber passiert ist, dass wir zu neuen Menschen werden, wenn wir Jesus nachfolgen. Denn darum geht es.
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