Vor einigen Tagen ist der zweite Teil der NDR-Doku „Die Schwulenheiler“ herausgekommen. Darin wird gezeigt, dass einige verantwortliche evangelikale und landeskirchliche Christen glauben, dass Homosexualität eine heilbare Krankheit sei. Bei Twitter schüttelt man den Kopf oder lässt Dampf ab:
https://twitter.com/nobattv/status/585526074127319040
https://twitter.com/SchneiderAaron/status/585531803009703936
https://twitter.com/DoroHolzapfel/status/585524342009765890
Dann gibt es auch Christen, die sich zu Wort melden:
Unser Gemeindereferent für Kinder u Jugendarbeit kann auch interviewt werden.Für ihn ist so eine "Schwuchtel" auch nicht ok #Schwulenheiler
— 🌈❤💜💙💛💚🌈 (@queerstellen) April 7, 2015
Seitdem so einige Notiz davon genommen haben, dass vor kurzem bei Mosaik zwei Frauen geheiratet haben, gibt es in meinem Bekannten- und Freundeskreis immer häufiger Gespräche, die genau in dieselbe Kerbe hauen: Gott kann Menschen von ihrer Homosexualität befreien und Heilung schenken.
Während also die öffentlich-rechtlichen Medien völlig zurecht darauf hinweisen, dass Homosexuelle in christlichen Gemeinden diskriminiert werden, verfallen die betreffenden Christen in eine Wagenburg-Mentalität. Die Beurteilung, dass Homosexualität biblisch gesehen gegen Gottes Schöpfungsordnung verstößt und daher Sünde ist, steht scheinbar felsenfest, wird verteidigt, aber unter keinen Umständen hinterfragt. Und das Argument „Gott kann alles“ ist schier unschlagbar. Oder aus meiner Sicht eben eine Sackgasse.
Dann gibt es solche, die auf der Suche sind. Familienangehörige oder enge Freunde sind betroffen, haben sich vielleicht geoutet und nun geht die Debatte sehr nah. Und immer wieder wünsche ich mir, dass diese Gespräche aus der Sackgasse herausführen.
Im Juni 2014 erschien in der christlichen Zeitschrift Charisma ein Artikel über Homosexualität, in dem unser Pastor zitiert wurde – allerdings ohne Namensnennung. Der Autor, Gerhard Bially, ist freundlich, hat ein gutes Herz und ist in dem Artikel recht fair geblieben. Aber ein Satz hat mich doch stark nachdenklich gemacht. Denn darin bringt er auf den Punkt, worin die Sackgasse besteht:
Die Schwierigkeit bei unserer Verkündigung, dass Jesus jeden Menschen verändern kann und will, so dass alles in uns, was – aus welchen Gründen auch immer – in Unordnung geraten ist, wieder in seiner Schöpfungsordnung zur Ruhe findet, die Schwierigkeit dabei ist, dass wir so wenige glaubhafte Zeugnisse davon haben.
Auf der einen Seite steht der Satz „Gott kann alles“, und auf der anderen Seite fehlen glaubhafte Zeugnisse für die Veränderung. Es ist, als würden viele Christen in ihrer Glaubensreise an einer Klippe ankommen, das flaue Gefühl, dass hier etwas steil runter geht, schafft Unbehagen. Also geht man nicht so nah heran, guckt erst recht nicht runter, sondern dreht sich um und läuft zurück. Am liebsten würde ich diese Leute die Klippe herunter schubsen. Denn klar, nur so kann man fliegen. Aber das geht natürlich nicht. Wir können Menschen nicht dahin bringen, wo sie selber nicht hingehen wollen.
Aber es scheint so offensichtlich! Warum gibt es solche Zeugnisse kaum? Und was ist mit denen, die irgendwann zurückgenommen werden? Oder denen, die reine Selbsttäuschung gewesen sind, nur um Ruhe zu bekommen? Warum gibt es viele Menschen, die Heilung darin erfahren haben, dass sie ihre homosexuelle Identität als Gottes Geschenk angenommen haben? Warum gibt es immer wieder Leiter von christlichen Ex-Gay Organisationen, die es sich nach Jahren anders überlegen und nun für die Gleichstellung Homosexueller eintreten? Und was sagt man Betroffenen, bei denen Gott die Homosexualität eben nicht „heilt“?
Das Problem ist, dass dieses „Gott kann alles“ eigentlich meint, „Gott handelt so, wie ich ihn verstehen will“. In einem Traktat der Mischna, das sind jüdische Auslegungen zur Bibel, heißt es:
Elischa, Abujas Sohn, sagte: Was gleicht dem Lernen in der Jugend? Es ist so als schriebe man mit Tinte auf frisches Papier. – Was gleicht dem Lernen im Alter? Es ist so, als schriebe man mit Tinte auf radiertes Papier.
Mich erinnert das an etwas, das Jesus einmal sagte:
Auch füllt niemand jungen Wein in alte Schläuche. Er gärt ja noch und würde die Schläuche zum Platzen bringen; der Wein würde auslaufen, und auch die Schläuche wären nicht mehr zu gebrauchen. Nein, jungen Wein füllt man in neue Schläuche. Aber niemand, der vom alten Wein getrunken hat, will vom jungen etwas wissen. ›Der alte ist besser‹, sagt er.«
-Lukas 5
Wir Menschen können wie eine volle Festplatte sein, unfähig Neues aufzunehmen. Ein radiertes Papier macht es schwer, neue Texte lesbar darauf zu schreiben. Und wer den alten Wein besser findet, der wird keinen Platz für neuen Wein finden.
Die Herausforderung von Jesus ist, dass er Nachfolge daran knüpft, dass eine Offenheit für Neues gegeben sein soll. Wir müssen Platz schaffen für die Dinge, die Gott uns neu zeigen will. Das ist das Eine.
Aber neuen Wein kann man nur in neuen Schläuchen fassen. Für neue Erfahrungen mit Gott braucht es neue Strukturen, die diese Erlebnisse fassen können. Es sollte für Christen normal sein, dass wir unsere Theologie mit der Zeit verändern. Das gehört zu einer gesunden spirituellen Entwicklung dazu.
Und natürlich sagt das nichts darüber aus, ob unsere Entscheidung bei Mosaik, Homosexuelle zu trauen, biblisch und im Willen Gottes ist. Aber dafür gibt es unter anderem den „Geruchstest“.
Das machen wir ja beispielsweise mit bereits angebrochenen Lebensmitteln. Wir riechen dran und das ist dann schon ein entscheidender Hinweis dafür, ob die Lebensmittel gut oder verdorben sind. Jesus hat diesen Geruchstest ebenfalls vorgeschlagen, wenn es um die Beurteilung spiritueller Fragen geht:
So trägt jeder gute Baum gute Früchte; ein schlechter Baum hingegen trägt schlechte Früchte. Ein guter Baum kann keine schlechten Früchte tragen; ebenso wenig kann ein schlechter Baum gute Früchte tragen. Jeder Baum, der keine guten Früchte trägt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen. Deshalb ´sage ich`: An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. – Matthäus 7
Die Sache ist die, es reicht in der Debatte nicht, sich auf die Bibel zu berufen. Wir müssen auch sehen, welche Früchte aus dem entstehen, was wir glauben, von Gott verstanden zu haben. Riechen die Früchte nach Tod, dann kann man die Bibel noch so sehr auf seiner Seite haben, dann ist etwas nicht richtig. Und ich glaube, dass wir nur so in dem Gespräch weiter kommen. Wir müssen die Geschichten hören und nachspüren, wo Gottes Geist Leben schafft. Nur so bewegen wir uns hoffentlich aus der Sackgasse.
– Jason
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