Transformation der Blutriten
Ein weiteres wesentliches Kapitel zum Verständnis der Opferrituale und des Sinnes dahinter, hängt mit der Transformation der Blutriten zusammen. Damit ist gemeint, dass es innerhalb der jüdischen Geschichte eine Veränderung der Opferrituale gegeben hat, von blutigen Opfern hinzu unblutigen. Das jüdische Volk hat lange Zeit im Exil gelebt, in der Diaspora. Da die Vorschriften der Thora aber deutlich verlangten, dass Opfer nur im Tempel in Jerusalem verrichtet werden durften, so konnten die Juden Jahrhunderte lang keine Opfer darbringen. Dies trifft erst recht auf die Zeit ab 70 n.Chr. bis heute zu, wo Israel gar keinen Tempel hat – obwohl sie seit 1945 sogar wieder im Land Israel leben.
Die Transformation der Blutriten stellten für die Juden aber kein Problem dar. Denn die Vergebung der Sünden wurde im Judentum niemals an ein Opfer geknüpft. Die Vergebung der Sünden geht von Gott aus. Die Voraussetzung für Sündenvergebung ist dabei die Umkehr des Herzens zurück zu Gott. Als sichtbares Zeichen dafür, dass der Mensch zu Gott umkehrt und sein Leben wieder Gott widmen möchte, wird ein Opfer vollzogen. Als dies später nicht mehr möglich war, so ersetzen das Studium der Thora, rechter Lebenswandel, Lobpreis, Gebete, usw. die blutigen Opfer. Man konnte seine innere Veränderung nun also durch andere Dinge nach außen sichtbar verdeutlichen. Reinigung von rituellen und ethischen Vergehen ist demnach im jüdischen Verständnis nicht an ein blutiges Opfer gebunden, sondern hängt einzig und allein an Gottes gerechtem und gütigem handeln. Sprich: Gott vergibt Sünden, weil er es will, nicht weil ihn ein Opfer besänftigt hat.
Interessant in diesem Zusammenhang sind verschiedene Texte des AT, die sich kritisch mit dem Opferkult auseinandersetzen. Hier eine kleine Auflistung:
„Nicht wegen deiner Schlachtopfer klage ich dich an, auch deine Brandopfer bringst du mir ja regelmäßig dar. Ich brauche keine Stiere aus deinem Stall und keine Böcke von deinen Weiden. Denn alle Tiere in Wald und Flur gehören mir ohnehin, auch das Vieh auf tausenden von Hügeln. Ich kenne jeden Vogel in den Bergen, ´alles`, was sich in Feld und Wiese regt, ist mir vertraut. Würde ich je Hunger verspüren, ich bräuchte es dir nicht zu sagen, denn mir gehört der ganze Erdkreis mit all seiner Fülle. Esse ich etwa Fleisch von Stieren? Trinke ich denn Blut von Böcken? Zeige Gott deinen Dank – das ist das Opfer, das ihm gefällt! Erfülle die Gelübde, die du vor ihm, dem Höchsten, abgelegt hast! Rufe zu mir in Tagen der Not. Dann werde ich dich retten, und du wirst mich preisen.« (Psalm 50,8ff)
„Ich hasse und verachte eure religiösen Feste und kann eure feierlichen Zusammenkünfte nicht riechen. Ich will eure Brand- und Speiseopfer nicht haben; die Friedensopfer eurer Mastkälber will ich nicht sehen! Hört auf mit dem Lärm eures Lobpreises! Eure Anbetungsmusik werde ich mir nicht anhören. Stattdessen will ich Recht fließen sehen wie Wasser und Gerechtigkeit wie einen Fluss, der niemals austrocknet. (Amos 5,21)
»O Israel, was soll ich nur mit dir anfangen? Und Juda, was soll ich mit dir machen?«, fragt der Herr. »Eure Liebe ist so beständig wie der Morgennebel und wie der Tau, der schon in den ersten Morgenstunden verschwindet. Darum habe ich meine Propheten geschickt, damit sie euch den Kopf zurechtsetzen, darum habe ich euch mit harten Worten geschlagen: damit sich mein Recht endlich durchsetzt – so wie das Licht nach der Nacht. Ich will, dass ihr barmherzig seid; eure Opfer will ich nicht. Mir geht es darum, dass ihr meinen Willen erkennt, und nicht darum, dass ihr mir Brandopfer bringt. (Hosea 6,3ff)
Der Hintergrund dieser Texte ist ähnlich. Die Israeliten hatten weiter am Opferkult festgehalten, aber sie hatten keine Herzensveränderung gezeigt. Das äußere Symbol der inneren Veränderung wurde beibehalten, aber die innere Umkehr hatte gar nicht stattgefunden. Deshalb kritisiert Gott durch die Propheten die Opferpraxis. Nicht die Opfer an sich waren schlecht, aber sie waren wertlos und inhaltlich leer, da die Umkehr fehlte. Auch das bestätigt das vorher gesagte: Gott lässt sich nicht durch Opfer besänftigen, er möchte eine Änderung des Herzens. Dann vergibt er Sünden. Um es etwas theologischer Auszudrücken: Gott empfängt die Sühne nicht, er schafft sie.
Das hat natürlich weitreichende Implikationen für die Bedeutung des Todes Jesu im NT. Demnach brauchte Gott kein Opfer, um seinen Zorn zu besänftigen und ihm zu ermöglichen, Menschen ihre Sünden zu vergeben.
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