In your Face – Den Mächten ins Gesicht

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#Scheitern

Reden wir über das Scheitern. Nicht diese Form von Scheitern, wenn man nicht lernt und dann durch die Führerscheinprüfung fällt – zum dritten Mal. Und auch nicht dieses Scheitern, wenn man den Haustürschlüssel zu Hause vergisst und es gerade dann auffällt, wenn man die Türe zuzieht. Es geht um eine andere Form von Scheitern, nämlich wenn man  los geht und versucht in dieser Welt einen Unterschied zu machen, dann jedoch feststellt, dass man es nicht schafft, Dinge zu verändern. Manchmal merkt man sogar, dass man mehr Chaos verursacht, als Heilung schafft. So erlebte es Mose, in der Exodusgeschichte:

Als Mose erwachsen war, ging er einmal zu seinen Brüdern, den Israeliten, hinaus und sah, wie sie Fronarbeiten verrichten mussten. Er wurde Zeuge, wie ein Ägypter einen Hebräer, einen von seinen Brüdern, totschlug. Da schaute er sich nach allen Seiten um, und als er sah, dass niemand in der Nähe war, erschlug er den Ägypter und verscharrte ihn im Sand. Am nächsten Tag ging er wieder hinaus. Da sah er zwei Hebräer, die miteinander stritten. Er sagte zu dem, der im Unrecht war: »Warum schlägst du einen Mann aus deinem eigenen Volk?« Der antwortete: »Wer hat dich zum Aufseher und Richter über uns eingesetzt? Willst du mich auch umbringen wie den Ägypter?« Da bekam Mose Angst, denn er dachte: »Es ist also doch bekannt geworden!« Als der Pharao von dem Vorfall erfuhr, wollte er Mose töten lassen. Mose aber floh vor ihm in das Land Midian.

-Exodus 2

Zur Anatomie des Scheiterns

Wie kommt Scheitern zustande? Mose ist in Ägypten aufgewachsen, einem damaligen Weltreich. Nun ist es so, dass wenn Menschen sich zusammen schließen, es immer eine sichtbare und eine unsichtbare Dimension solcher Zusammenschlüsse gibt. Das gilt gleichermaßen für Staaten, Organisationen, Familien, Freundschaften. Umgangssprachlich benennen wir diese unsichtbare Seite, bei Mannschaften sprechen wir von „Teamgeist“, im Beruf gibt es das „Arbeitsklima“ und eine Party hat eine gewisse „Stimmung“ oder „Atmosphäre“. Auch Theologen haben sich diesem Phänomen zugewandt und die unsichtbare Dimension von Institutionen „Mächte“ genannt. Das Tückische an diesen Mächten ist, dass sie größer sind als Einzelpersonen. Der Einzelne hat gegen die Mächte keine Chance. Das wird deutlich, wenn man einige dieser Mächte beim Namen nennt: Verzweiflung, Ausweglosigkeit, Enttäuschung, Angst, vollgeschissene Windeln.

So jedenfalls vor kurzem passiert: Da wickle ich unseren Kleinen und meine Frau kommt mit dem Telefonhörer ins Zimmer. Multitasking ist nicht so meins, also fällt die Windel unvorteilhaft und eine große Sauerei entsteht. Daraufhin folgt ein eindringliches Gemecker seitens meiner Frau…Der Kleine grinst. Ich erkläre ihm, dass die Mamma den Papa anmeckert. Das Wort anmeckern kannte er noch nicht, daher wiederholte ich: Die Mamma meckert mit dem Papa. Jetzt antwortet er: „Nochmal meckern“ Manchmal ist man machtlos…

Gegen die Mächte fühlt man sich ohnmächtig. Außerdem haben die Mächte die Eigenschaft, dass sie uns in ihr Bild verwandeln können, so dass wir zu dem werden, was wir bekämpfen. Wir werden zu Multiplikatoren der Mächte: Sie wecken die Bestie in uns.

Auch das passiert mit Mose, er scheitert an den Mächten und so bleibt ihm nur die Flucht. Anstatt eine Veränderung herbeizuführen, wird er zum Multiplikator der Mächte, er wendet selber Gewalt an und wird zum Mörder.  Menschen auf der Flucht konstruieren und erzählen sich oft Geschichten, die das eigene Scheitern übermalen.

Die gute Nachricht ist, dass wenn du dich gerade auf der Flucht befindest, dass du dann die besten Voraussetzungen dafür geschaffen hast, dass Gott dir begegnet. Denn Gott begegnet Menschen auf der Flucht. Ungemütlich ist allerdings, dass Gott unsere Glaubensgeschichten/-Überzeugungen herausfordern wird. Er entlarvt die Geschichten, die wir uns selber erzählen, um unser Scheitern zu kaschieren. Das tut er, damit er mit uns eine neue Geschichte schreiben kann.

Das war so bei Zak Ebrahim. Zak ist Sohn von El-Sayed Nosair, einem ehemals engen Verbündeten von Osama Bin Laden, der u.a. für einen Anschlag auf Rabbi Meir Kahane, den Leiter der Jewish Defence League verantwortlich gewesen ist und außerdem als Co-Planer der Anschläge auf das World Trade Center im Jahr 1993 gilt. Zak ist also in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem Hass und Zerstörung die bestimmenden Mächte waren. Einmal nahm ihn sein Vater mit zu einem Schießstand, an dem einige aus den Extremistenkreisen des Vaters übten. Sein Sohn traf dabei auch einige Zielscheiben und so sagten andere „Wie der Vater, so der Sohn“. Man lachte: Offenbar hatte der Sohn ähnliche Fähigkeiten zur Zerstörung wie sein Vater. Zak wuchs dann ohne Vater auf, denn sein Vater wurde verhaftet. Ohne seinen Vater wurden seine extremistischen Ansichten herausgefordert. Sei es in der Schule, sei es in der Freizeit, immer wieder lernte Zak andere Menschen kennen, die nicht in das von Zuhause beigebrachte Feindbild passten. Sein Weltbild bröckelte und so erzählte er schließlich seiner Mutter, dass er nicht mehr länger an dieser extremen Lebenshaltung festhalten wollte. Daraufhin antwortete seine Mutter: „Ich bin es müde, Menschen zu hassen“ Heute ist Zak Aktivist und setzt sich für Frieden ein. Söhne müssen nicht so werden, wie ihre Väter. Die Macht einer Familie kann verändert werden.

Gott fordert unsere Glaubensgeschichten heraus. Er begegnet uns auf unserer Flucht und lädt uns ein, er lockt uns in eine neue Geschichte. Walter Wink hat das sehr gut auf den Punkt gebracht: „Gott ist die ständige Möglichkeit der Veränderung, die jeder Gelegenheit anhaftet.“

Angenommen ich habe das erlebt: Gott begegnet mit und lockt mich in eine neue Geschichte. Was dann? Wie kann ich den Mächten trotzen, ohne von ihnen vereinnahmt zu werden?

Es gibt kein Rezept, kein Buch, keinen Guru und keine Magie, um sich gegen die Mächte immun zu werden. Es gibt nur die Einladung zur Begegnung mit Gott. Jesus ist der einzige Weg, den Mächten zu trotzen, ohne von ihnen vereinnahmt zu werden. Folgen wir Jesus, werden wir in das Bild Gottes verwandelt, nicht in das Bild der Mächte.

Diese Einladung Gottes besteht darin, dass wir zum einen verändert werden (Gott schreibt mit uns an einer neuen Geschichte). Aber sie besteht auch darin, dass wir den Mächten entgegentreten und ihnen ins Gesicht reden. Die Mächte müssen konfrontiert werden. Das war auch im Leben von Mose der Fall. Gott begegnet Mose in der Wüste und es kommt zu folgendem Gespräch, in dem Gott Mose sagt:

„Ich habe den Hilfeschrei der Leute von Israel gehört, ich habe gesehen, wie grausam die Ägypter sie unterdrücken.  Deshalb geh jetzt, ich schicke dich zum Pharao! Du sollst mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten herausführen.“

-Exodus 3

Ich kann mir kein unangenehmeres Gespräch vorstellen. Was muss sich Mose gedacht haben? Wie soll das überhaupt gehen, wie kann Mose auch nur einen Schritt in diesen Palast setzten? Aber genau das ist Teil des Aufbruchs. Die Mächte müssen konfrontiert werden.

In dieser Serie „Unterwegs – jedes Abenteuer beginnt mit einem Aufbruch“ stellen wir uns die Frage, was die gute Botschaft ist. Ich kann nicht eine einfache Lösung aus dem Hut zaubern. Aber vielleicht ist Teil der Lösung, dass Befreiung möglich ist, dass Mächte verändert werden können. Dass Feinde ihre Menschlichkeit wiedererlangen können und Gott Möglichkeiten zur Veränderung schafft. Dabei ist das Evangelium keine Garantie, dass alles gut wird. Mich spricht da folgendes Zitat an:

„Gott kam mit keinem anderen Kapital in die Welt als mit seiner Liebe, und sie war so machtlos und mächtig, wie Liebe eben ist. Außer seiner Liebe hat er nichts, unser Herz zu gewinnen.“

– Dorothee Sölle

Dieser Satz enthält einen unterschwelligen Zweifel. Ehrlich gesagt mag ich das. Denn es gibt die Tage, an denen ich mir völlig sicher bin, dass die Liebe am Ende das letzte Wort hat. Aber dann gibt es die Tage, an denen mein Glaube nicht ausreicht. Dann ist es gut, Freunde zu haben, die für mich mitglauben können, wenn ich selber nicht genug davon habe. In diesem Sinne vielen Dank, Uli, für einen wichtigen Kaffee zur rechten Zeit.

– Jason


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