Homosexualität und Freikirche – geht das? #nichtmehrschweigen

Endlich! Timo Platte hat schon seit einigen Jahren den Traum, Geschichten von Christinnen und Christen aus dem LSBTQ-Bereich zu sammeln und als Buch herauszugeben. Auf der letzten Tribus-Konferenz hat er dieses Projekt bereits vorgestellt gehabt (und wird nebenbei dieses Jahr ebenfalls zu den Sprechern gehören), damals noch in der Hoffnung, bald einen christlichen Verlag finden zu können, der dieses Projekt unterstützt.

In den Folgemonaten kamen dann immer wieder Hinhaltemanöver und Absagen. Kein Verlag der evangelikalen Szene hat sich an dieses Projekt gewagt. Um so erfreulicher ist, dass Timo andere Unterstützer finden konnte, so dass dieses Projekt nun mit einer fantastischen Dynamik Fahrt aufnimmt.

Dieses Buch hat das Potential, ein Gamechanger zu werden. Insbesondere im deutschsprachigen Raum hat man bislang in der evangelikalen Szene fast nur über Homosexuelle geredet, sehr wenig mit ihnen und noch weniger kamen sie selber zu Wort. Die gesammelten Geschichten sind kraftvoll und machen betroffen.

Die Stärke des Buches ist es m.E., dass hier eben nicht theologisch mit Bibelstellen argumentiert wird oder der Leserschaft Daten, Fakten und Studien um die Ohren gehauen werden. Stattdessen geht es um echte Menschen, um Geschichten, die sich in den gewöhnlichen Gemeinden zutragen. Und damit entwaffnet dieses Buch.

Es umgeht Schutzmauern aus Theologie und Vorurteil und konfrontiert die Leser mit Lebensgeschichten. Man kann dann eigentlich nicht einfach so weitermachen wie bisher. Diese Geschichten sitzen und werden etwas aufbrechen – das ist jedenfalls zu hoffen.

Möglicherweise ist dieses Buch genau das, was die freikirchliche Welt gerade nötig hat. Auch wenn ich diese Szene mit etwas Abstand beobachte, so scheint hier doch gerade Bewegung zu sein. Jedenfalls gibt es Anzeichen dafür, insbesondere wenn man etwas genauer hinhört.

Vor 10 Jahren hatte es eine öffentliche Kontroverse um das Christival in Bremen gegeben. Unter anderem der Grünen Politiker Volker Beck hatte sich kritisch über ein Seminar des “Deutschen Institutes für Jugend und Gesellschaft” geäußert, in dem es die Veränderbarkeit von Homosexualität gehen sollte. Auf öffentlichen Druck hin hatten die Veranstalter dieses Seminar abgesagt. So manche der damaligen Verantwortlichen haben heute eine andere Sicht auf Homosexualität. Die Proteste hatten ihre Wirkung, wie auch das Engagement von Volker Beck. Für das Christival 2016 war die Organisation „Zwischenraum“ eingeladen, die LSBTQ-Organisation, aus dem auch das Buchprojekt von Timo Platte entstanden ist.

Öffentlich wahrgenommen wurde außerdem vor ein paar Jahren der Streit um Michael Diener, der in einem Zeitungsinterview zwar immer noch eine konservative Position bezogen hatte, sich aber doch für eine Öffnung der Gemeinden aussprach, die Homosexuellen die Mitarbeit ermöglichen würde. Dafür hat Michael Diener einen Strum im Wasserglas losgetreten, der anschließend über ihn hereinbrach. Wenig später wechselte Diener in die EKD. Von außen betrachtet spricht das Bände.

Dann gab es vor einiger Zeit die TV-Doku „Die Schwulenheiler“ von Christian Deker. Wieder war der fromme Abwehrreflex eingesetzt. Nur wenige äußerten sich in die Richtung, man müsse jetzt einen Schritt auf Homosexuelle hin gehen. Schlecht Presse mag man zwar nicht, in der Sache gibt es aber keine inhaltliche Bewegung, die sich in öffentlichen Statements erkennen ließe. 

Stattdessen kam das Papier der EAD zu Homosexualität, in der man sich gegen die #Ehefüralle ausgesprochen hat. Hier müssen sich jedoch intern bestimmte Debatten zugetragen haben, denn in dem Papier steht der bemerkenswerte Satz: „Die in der Bibel beschriebene homosexuelle Praxis ist mit dem Willen Gottes unvereinbar.“ Man könnte die Frage stellen, ob es denn eine homosexuelle Praxis gibt, die in der Bibel nicht bekannt, benannt oder mitgedacht ist und die man  entsprechend auch Homosexuellen einräumen sollte. Der Tenor des Papiers geht zwar nicht in diese Richtung, aber immerhin möchte man die Schuld von Hartherzigkeit, Arroganz und verurteilendem Verhalten gegenüber Homosexuellen bekennen.

Wo steht die Evangelikale Szene in Deutschland nun, wenn es um die Frage der Homosexualität geht?

Fakt ist, dass sich keine deutsche evangelikale Einrichtung öffentlich für die Gleichberechtigung von Homosexuellen ausspricht. Das Gespräch ist jedoch im Gang. Und der Diskurs scheint sich klar verschoben zu haben. Verurteilende, dumpfe oder abwertende Aussagen über Homosexuelle werden heute nicht mehr leichtfertig öffentlich gemacht. Außerdem stehen heute jedem Ressourcen zur Verfügung, um biblische Argumente zu finden, die eine völlige Akzeptanz von Homosexuellen gut begründet. Wer heute theologisch mit zwei drei Bibelstellen das Thema vom Tisch wischen möchte, dürfte damit nicht mehr so einfach durchkommen. Das Gespräch ist mittlerweile an einer anderen Stelle. Dazu dürften neben Zwischenraum auch unterschiedliche Podcast-Formate beigetragen haben. Mit Hossa-Talk und Worthaus haben sich zwei der populärsten Podcasts der Szene klar für die Akzeptanz von Homosexuellen ausgesprochen und hier bereits derart gut argumentiert, dass Vertreter der konservativen Lesart deutlich mehr begründen müssen. Das dürfte nicht nur für theologische Ausbildungsstätten gelten, auch an der Basis wird dieses Gespräch geführt.

Immer wieder kommt es vor, dass ich bei ein paar Bier mit verschiedenen Christinnen und Christen zusammensitze und man über die Zukunft der Freikirchen diskutiert. Viele dieser Gespräche verlaufen mit ähnlichen Mustern. Immer wieder höre ich von einer Herausforderung, dass junge Leiterinnen und Leiter vor der Frage stehen, ob sie ihre progressiven Ansichten hinter dem Berg halten oder eben nicht in der freikirchlichen Szene arbeiten können. 

Immer wieder höre ich den Satz „Es ist noch eine Frage der Zeit“. „Demnächst wird sich das Thema genauso klären, wie die Frauenfrage“.  Die Argumentation geht weiter. Im Moment sitzen Leiter an den Schaltzentralen, die der Generation Babyboomer angehören. Es dauert jedoch nicht mehr lange, dann wird die Generation Y in den evangelikalen Werken die Führungspositionen übernehmen müssen. Spätestens dann werden sich die Dinge ändern.

Ich bestaune den Optimismus.

Ich meine, dass die Schwäche der Progressiven in einem Zukunftsoptimismus liegen kann, der davon ausgeht, dass die Fragen der Menschenrechte sich in Zukunft von selber lösen.

Ich hoffe daher auch, dass das Buch von Timo Platte in progressiven Kreisen breit gelesen wird. Denn dieses Buch dürfte uns zeigen, dass wir heute noch nicht da sind, wo Progressive glauben, dass wir sind.

Und wir werden auch nicht dahin kommen, wo wir hinsollen, wenn sich Christinnen und Christen nicht berufen lassen und es sich nicht etwas kosten lassen. Erst dann, wenn sich eine Generation von Leiterinnen und Leitern bereit erklärt, auch gegen finanzielle Sicherheit zu ihren Überzeugungen zu stehen, dann können sich Dinge ändern. Ansonsten werden die Mechanismen der evangelikalen Szene auch in Zukunft ziehen und Andersdenkende aussortieren.

Das Buchprojekt von Timo hat in den ersten Tagen deutlich über 10000 Euro Unterstützung bekommen. Das macht mir ehrlich gesagt Mut. Vielleicht wird es ja doch genug Leute geben, die es sich etwas kosten lassen.

Geht da doch etwas?


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