Die PEGIDA sind keine Rassisten – es ist viel komplizierter

Ist es nicht auffällig, dass Demonstranten bei PEGIDA sich deutlich von rechtsextremen und Nazis abgrenzen? Immer wieder ist mir in den Beiträgen über die PEGIDA die Aussage begegnet, dass hier ganz normale Bürger aus der Mitte der Gesellschaft demonstrieren:

„Ich bin kein Nazi, aber…“

„Ich habe nichts gegen Ausländer, aber…“

„Ich bin nicht rassistisch, aber…“

Oft wurde in den Medien nun versucht, diese Aussagen ins Gegenteil umzukehren. Wenn man die Aussagen im Zusammenhang sehen würde, dann wäre klar, dass die Demonstranten eigentlich doch Nazis, Rassisten oder ausländerfeindlich sind. Man müsse nur den Subtext der Aussagen verstehen, so las man in der Taz.

Und ein bisschen ist da auch dran. Wie die umgeschnittene Version der vom NDR herausgegeben Interviews mit PEGIDA-Anhängern (Teil 1, Teil 2) zeigte, sind definitiv Aussagen dabei, die trotz vehementem Abstreiten von offizieller Seite den Eindruck vermitteln, dass rassistische Haltungen innerhalb der PEGIDA keine Ausnahme sind.

Diskutiert wird nun, wie man mit PEGIDA umgeht. Verständnis zeigen? Ist es in Ordnung, die Demonstranten pauschal zu kritisieren? Oder stellen solche Kritiken pauschale Diffamierungen dar? Sind diese Demonstranten nun alle Nazis? Sind es Rassisten?

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring Eckardt, twitterte vor einigen Tagen: Habe kein Verständnis für Mitläufer. Wer sich hinter fremdenfeindlichen Plakaten versammelt, weiß was er tut.

Wer mitläuft, macht mit, stimmt zu und gehört folglich dazu. Demnach würden viele Vorwürfe die Demonstranten im Allgemeinen zurecht treffen, weil man eben dabei ist und sich solidarisiert.

Mir fällt zwar kein Argument ein, das man gegen Eckardts Tweet anführen könnte, dennoch kann das Mitläufer-Argument längst nicht erklären, wieso PEGIDA gerade in der Mitte der Gesellschaft einen Nerv getroffen hat und sich daher überraschend breiter Unterstützung sicher sein kann.

Anders ausgedrückt, wenn man PEGIDA Demonstranten als Nazis oder Rassisten abstempeln würde, dann könnte man dafür Argumente finden, allerdings würde man es sich dann insofern deutlich zu einfach machen, als dass man dem Phänomen nicht gerecht wird und es nicht treffend erklären kann. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass wenn man mit diesen Kategorien arbeitet, das eigentliche Problem noch nicht einmal verstehen kann.

Rassismus passt hier einfach nicht als Kategorie. Es gibt zu viele Ungereimtheiten. Da erzählt beispielsweise Sebastian Nobile auf der DÜGIDA-Demo, dass er sich selber für Ausländer engagiert hat und Menschen von unterschiedlicher Herkunft privat aufgenommen hat. Er habe sich auch für ein ehrenamtliches Engagement gegen Ebola angemeldet gehabt. Mal ehrlich – stellt man sich so einen Rassisten vor? Auf Facebook gibt es Bilder, die betonen sollen, dass auch Schwarze bei PEGIDA mitlaufen. Das ist auch alles kein klassischer Rassismus. Das Phänomen lässt sich nicht so einfach greifen. Es ist wie mit diesem Satz: „Mein Nachbar ist Türke, der ist in Ordnung. Auf den lasse ich nicht kommen. Aber die meisten anderen Türken sind alle asozial“ Man spürt eine gewisse diskriminierende Grundhaltung, aber es lässt sich nicht so ganz einfach trennscharf an Rassismus festmachen.

Aber was ist PEGIDA dann?

Soziologen gehen davon aus, dass Rassismus heute von etwas anderem abgelöst wurde. Man spricht beispielsweise von „Rassismus ohne Rassen“ oder von „Kulturalismus“. Und der ist ein Phänomen gerade auch in der Mitte der Gesellschaft. Beim Kulturalismus beziehen sich die Ressentiments nicht mehr vordergründig auf das Merkmal Rasse, sondern auf kulturelle Unterschiede. Kulturalismus, das ist der neue Rassismus. Kulturalismus erinnert wegen der diskriminierenden Sprache an Rassismus. Aber es ist eben etwas anderes. 

Woran kann man Kulturalismus nun erkennen und was versteht man genau darunter?

Wesentlich für den Kulturalismus ist das Verständnis, dass eine Kultur wie eine kollektive Programmierung des Geistes ist. Diese „mentale Software“ haben alle Angehörigen der jeweiligen Kultur erlernt und/oder angeboren. Menschen eines gewissen kulturellen Hintergrunds handeln und denken scheinbar auf eine gewisse Weise, die von der jeweiligen Kultur vorgegeben ist. Und dagegen kann der Einzelne im Grunde nichts tun. („Die Flüchtlinge machen eben überall Dreck und sind kriminell“). Diese Software bildet die kulturelle Identität. Man spricht auch davon, dass es unterschiedliche Kulturkreise gibt. Während man früher Kämpfe zwischen unterschiedlichen Ideologien ausgetragen hat (z.B. Kommunismus vs. Kapitalismus), gebe es heute die Vorstellung von unüberbrückbaren kulturellen Unterschieden, wegen denen Kämpfe ausgetragen würden (z.B. Kultur des Westens gegen den wiedererstarkten Islam oder das aufsteigende China). Der Kulturkampf besteht oft in der Forderung, die eigene kulturelle Identität vor Überfremdung zu schützen. Denn man spricht jeder Kultur eine Existenzberechtigung zu, allerdings gibt es eine gewisse Überheblichkeit: Der Westen ist beispielsweise aufgeklärt, andere Kulturkreise nicht. So eignen sich fremde Kulturen auch als Sündenböcke, sie liefern einfache Erklärungen für soziale Ängste.

In der Soziologie wird dieser Ansatz allerdings als wissenschaftlich nicht haltbar angesehen. Man könne eben nicht davon ausgehen, dass Gesellschaften so einheitlich sind und kulturelle Prägung so unabänderlich. Was man auch immer unter einem bestimmten Kulturkreis versteht (im Detail lässt sich das im Grunde gar nicht wirklich beschreiben), so werden diese Merkmale eben niemals auf alle Menschen aus der betreffenden Kultur zutreffen. Kulturalismus macht darüber hinaus blind für Verbindungen, Gemeinsamkeiten, Überschneidungen und gemeinsame Problemlagen zwischen den konstruierten Menschengruppen.

Diese Gedanken helfen weiter. Gerne kann man sich jetzt darüber streiten, ob Kulturalismus ein Phänomen ist, das besser beschreibt, was gerade in Deutschland und in anderen europäischen Ländern passiert. Ich meine, man kann vielerlei Vergleichspunkte erkennen:

Ist es nicht auffällig, dass heute vielfach damit argumentiert wird, dass man in Deutschland die „christlichen Werte“ verteidigen müsse? Was genau diese Werte sind, das ist nicht eindeutig klar. Man argumentiert mit einer kulturellen Norm, man verteidigt eine gewisse kulturelle Identität. Die Gruppe schafft eine Wir-Gefühl, dabei ist mehr als fraglich, ob es tatsächliche Gemeinsamkeiten im Detail überhaupt gibt, oder ob diese nur unterstellt und behauptet werden. Christliche Werte, Abendland, Deutschsein – das sind alles Begriffe, unter denen jeder etwas anderes versteht. Aber dennoch haben alle das Gefühl, von derselben Sache zu reden. Weil aber nicht klar ist, was genau gemeint ist, so taucht immer wieder das Wörtchen „irgendwie“ auf. Kulturalismus.

Selbiges gilt für das Feindbild, der Islamismus und die wohlmöglich drohende Islamisierung. Der Islam ist eben keine einheitliche Größe. Jeder hat zwar einige Vorstellungen darüber im Kopf, man verbindet sicher auch einige eigene Erfahrungen mit diesen Begriffen, die eigene Vorstellungen bekräftigen. Es sind jedoch konstruierte Bilder, die der Realität in seiner Vielschichtigkeit nicht gerecht werden. Das erklärt auch, wieso gerade in Sachsen die Islamisierung so ein Thema sein kann, wo gerade dort nur sehr wenige Muslime leben. Und es erklärt, warum man einerseits nichts gegen den Moslem von nebenan hat, aber gleichzeitig in der Islamisierung eine große Bedrohung sieht. Kulturalismus.

Wenn es stimmt, dass der Kulturalismus den Rassismus abgelöst hat, dann besteht meiner Meinung ein größeres Problem. Diese, auf die Kultur bezogenen Ressentiments, lassen sich nicht so einfach aufdecken, wie es beim Rassismus der Fall ist. Der Rassismus hat hier auch nicht einfach ein neues Kleid, ein neues Erscheinungsbild bekommen. Vielmehr haben wir es mit einer Form von gesellschaftlicher Ausgrenzung zu tun, die sehr viel nebulöser, verdeckter und glitschiger ist. Ausgrenzung kann jetzt nämlich ganz unterschiedlich aussehen und bezieht sich auf ganz unterschiedliche Unterschiede (die man als “kulturelle Unterschiede” benennt), eben nicht bloß auf Rasse.

Und dann wäre PEGIDA nicht das eigentliche Problem, sondern nur eine Plattform für einen gesellschaftlich schon länger vorhandenen Kulturalismus. Jetzt zeigt sich eben nur das Problem, das bereits seit längerem in der Mitte der Gesellschaft vorhanden gewesen ist.

In weiteren Posts möchte ich ich dieses Thema theologisch angehen. Was ist die biblische Sicht auf die Frage nach Kultur und dem Fremden? Was kann Gemeinde für Antworten auf diese Herausforderungen bringen? Die gute Nachricht ist, dass die ersten Gemeinden vor einer recht ähnlichen Herausforderung standen und es sich zeigte, dass Gott dabei war, Gesellschaft zu verändern…

Demnächst mehr.

– Jason


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Kommentare

3 Antworten zu „Die PEGIDA sind keine Rassisten – es ist viel komplizierter“

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  2. Avatar von Uwe Kaul
    Uwe Kaul

    Ich habe hier eine Verständnisfrage: Ich habe nun zum ersten Mal den Begriff Kulturalismus gehört bzw. gelesen. Deshalb habe ich zuerst in meinen Wörterbüchern nachgeschaut, habe den Begriff aber nicht gefunden. Aus diesem Grund habe ich dann Wikipedia befragt und bin fündig geworden. In dem entsprechenden Artikel ist zu lesen, dass Kulturalismus eine neue Form von Rassismus sei (Neo-Rassismus). Darin wird behauptet, dass z.B. die Behauptung, dass ein Mensch seine Kultur nicht ändern könne Neo-Rassistisch sei. Auch die Behauptung, dass dies z.B. erst in der nächsten Generation bzw. Generationen geschehen könnte. Da es sich hier um einen ziemlich neuen Begriff zu handeln scheint, ist zu hinterfragen, ob der Artikel noch zu unreflektiert ist. Rassismus meint, dass man einen Menschen festlegt, aufgrund seiner von den Vorfahren geerbten Eigenschaften (z.B. Hautfarbe und damit verbundener Eigenschaften). Kultur ist aber eine Lebensform, die sich verschiedene Volksgruppen angeeignet haben und die wichtige (Über-)lebensstrategien für sie darstellen. Ethnologen, wie z.B. auch Lothar Käser behaupten, dass sich der Mensch seine Kultur hauptsächlich in den ersten 7 Lebensjahren aneignet und verinnerlicht. Danach verändert er seine kulturelle Mentalität nicht grundlegend. Er kann sich dann zwar neue Kulturen aneignen bzw. diese erlernen, wird aber unterschwellig immer von seiner ursprünglichen gesteuert. Das heißt, wenn ein Mensch in unser Land kommt, ist er demnach in der Lage unsere kulturellen Gepflogenheiten zu erlernen. Das würde aber unter subkulturellen Umständen erheblich erschwert. Zum Beispiel, wenn ganze Viertel entstehen, wo Menschen seiner Kultur zusammen leben und nur wenig Kontakt zur im Lande vorherrschenden Kultur haben. Ebenso, wenn jener Mensch ermutigt wird, die Kultur des Landes abzulehnen. Ist es daher korrekt, wenn man das Problem der Anpassung als Kulturalismus bezeichnet und wenn ja, ist es korrekt diesen als Neo-Rassismus zu bezeichnen ?

    1. Avatar von wirsindmosaikde

      Mein Studium ist schon eine Weile her und Soziologie hatte ich nur im Nebenfach, daher sind alle Aussagen immer unter Vorbehalt – wie alles auf diesem Blog. Die Informationen zum Kulturalismus habe ich von einer Studentin, die zu dem Thema gerade ein Seminar an der Düsseldorfer FH absolviert. Die Unterlagen liegen mir vor. Dort wird sich vor allem auf Stuart Hall bezogen, einem Vorreiter des Postkolonialismus.

      Das Problem der “Anpassung” wurde in dem Seminar auch behandelt. Für mich sieht es so aus, dass man immer unterscheiden muss, was jeweils unter “Kultur” verstanden wird. Wenn man die Ideen des Kulturalismus mit einbezieht, würde “Anpassung” im Sinne des Multi-Kulti verstanden werden. Menschen aus anderen Kulturen kommen in diesem Verständnis in eine andere Kultur und es entstehen Parallelgesellschaften in einem Land. Das Problem ist auch hier wieder der Kulturbegriff, denn kulturalistisch gedacht wäre Multi-Kulti Gesellschaft als Summe getrennter, nebeneinander (friedlich) lebender Kulturen. Und das gibt es in der Realität nicht – so diverse Wissenschaftler. Kultur ist hier eher starr und kaum änderbar, wie du oben zurecht anführst.

      Stattdessen wird der Begriff “Transkulturalität” ins Spiel gebracht: Transkulturelle Gesellschaft “ist eine offene, auf ständigen kommunikativen Austausch und Teilhabe aller angelegte Gesellschaft, in der das anerkannte Ziel ist, dass alle Zugang zu Arbeit, Recht, Gesundheit, Bildung haben. Dieser Kulturbegriff geht davon aus, dass das Fremde in jeder Kultur und in jedem von uns ist. Jede Kultur hat transkulturelle Elemente, kann somit aber auch Aneignungs- und Transformationsprozesse durchlaufen. Dieser Kulturbegriff ist sehr viel stärker im Fluss.

      Hier ein paar Links: http://www.transkulturelles-portal.com/index.php?view=article&catid=36%3A121&id=49%3Akulturalismus-des-20-jh&format=pdf&option=com_content&Itemid=56

      http://www.perlentaucher.de/essay/kultur-als-politische-ideologie.html

      Ob Kulturalismus und Neo-Rassismus dasselbe sind, wage ich zu bezweifeln. Vielleicht soll der Begriff Neo-Rassismus einfach ausdrücken, dass der klassische Rassismus abgelöst wurde, aber da bin ich zuwenig im Thema.

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