Fรผr den christlichen Glauben ist die Bibel das wichtigste Buch. Man sagt deswegen auch โHeilige Schriftโ und sagt damit aus, dass diese Buch besonders, einzigartig und wertvoll ist. Was macht nun das Besondere an diesem Buch aus? Christinnen und Christen glauben, dass Gott sich uns Menschen mitteilen will und die Bibel hier eine entscheidend wichtige Rolle zukommt.
Das Wichtigste, das Gott uns zu sagen hat, ist uns in Jesus Christus mittgeteilt. Man kann sagen, dass die Kernidee des christlichen Glaubens sich so zusammenfassen lรคsst: Gott ist wie Jesus. Jesus selber sagte einmal: โWer mich gesehen hat, hat den Vater (Gott) gesehenโ. Fรผr Christen ist daher die Person Jesus die entscheidende Offenbarung Gottes. Das Christentum ist daher keine Buchreligion, wir glauben an die Person Jesus Christus und folgen ihm.ย In der Barmer Theologischen Erklรคrung von 1934 heiรt es daher treffend: โJesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hรถren, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen habenโ. Die Bibel ist deswegen besonders wichtig, weil sie diese Selbstoffenbarung Gottes in Jesus bezeugt. Das macht dieses Buch heilig.
Jesus hat die Menschen in seinem Umfeld in einer ganz besonderen Weise beeinflusst. Diese Menschen sind Gott in Jesus besonders begegnet und wurden von dieser Begegnung stark ergriffen. Ihre Texte und ihr Reden sind ganz entscheidend von ihrer Begegnung mit Jesus geprรคgt. Daher glauben wir, dass die Bibel inspiriert ist, dass sie also die Gottesbegegnung in Jesus atmet.
Wir glauben darรผber hinaus auch an die Inspiration des ersten Teils der Bibel. Zum einen hat Jesus wie auch die ersten Christen und Autoren des Neuen Testaments daran festgehalten, wir glauben zudem aber auch, dass wir Christus schon im Alten Testament finden kรถnnen.
Zur Inspiration der Heiligen Schrift gehรถrt auch das Verstรคndnis, dass die Schreiber vom โGeist Gottes getriebenโ waren und die Texte daher als โvon Gott eingehauchtโ gelten. Die Diskussion innerhalb des Christentums versucht nun zu erรถrtern, wie das Zusammenspiel von menschlichen Autoren und Gรถttlichem Wirken gedacht werden kann.
Fรผr einige gilt, dass die Bibel als โGottes Wortโ anzusehen ist und daher Gott der eigentliche Autor der Bibel ist. Der Bibel wรผrden in dem Fall gรถttliche Eigenschaften zugesprochen werden. Man leitet daraus ab, dass die Bibel ohne Irrtรผmer sei und als hรถchste Wahrheit zu gelten habe, an der sich alles andere orientieren mรผsse. Auf der anderen Seite gibt es Stimmen, die der Bibel nicht wesentlich mehr als ein Zeugnis des Nachdenkens รผber Gott sehen. Wie so oft gibt es auch hier eine goldene Mitte.
Zunรคchst ist festzuhalten, dass es grundlegende Unterschiede zwischen Gott und der Bibel gibt. Die Bibel ist ein begrenzter Text mit Anfang und Ende, Gott ist lebendige Persรถnlichkeit und ewig.ย Die Bibel lรคsst sich anfassen, Gott ist unsichtbarer Geist. Gott hat die Welt erschaffen, die Bibel wurde erschaffen.
Die Bibel ist im Grunde ja kein einzelnes Buch, sondern eine aus 66 Bรผchern bestehende Bibliothek. รber 40 Autoren haben รผber einen Zeitraum von fast 1000 Jahren daran mitgewirkt, die endgรผltige Zusammenstellung wurde im viertenย Jahrhundert nach Christus beschlossen. Wir erkennen, dass in der Bibel vรถllig unterschiedliche Stimmen und Sichtweisen aufgenommen wurden. Die Aussagen รผber Gott oder รผber ethische Fragen sind hรถchst uneinheitlich. Ansรคtze, die diese Unterschiede glattbรผgeln wollen und aus den unterschiedlichen biblischen Stimmen eine in sich stimmige Botschaft konstruieren, รผberzeugen nicht. Wenn wir die Bibel ernst nehmen mรถchten, dann sollten die unterschiedlichen Sichtweisen in der Schrift als solche erkannt und gewรผrdigt werden.
Die biblischen Autoren haben รผber Gott, die Welt und das Leben nachgedacht und ihre Gedanken in eine grรถรere Debatte eingebracht. Man kann erkennen, dass innerhalb der Bibel um Wahrheit gerungen wird. Gerade im Ringen um die Wahrheit wird aber Gottes Wirken erkennbar und spรผrbar. Deswegen macht es durchaus Sinn zu sagen, dass die Bibel Gottes Wort wird, indem Gott unsย beim Lesen begegnet, anspricht und dadurch verรคndert.
Mit der Zusammenstellung der Bibel hat Gott also nicht aufgehรถrt zu reden. Die Bibel wird fรผr den christlichen Glauben immer die Heilige Schrift sein mรผssen, dennochย hat Gott noch mehr zu sagen. Das hat auch Jesus schon angedeutet, als er sagte: โIch habe euch noch viel zu sagen, aber ihr kรถnnt es jetzt nicht tragenโ (Joh 16,12).
Guckt man sich an, was die Bibel fรผr Aussagen รผber Themen wie Sklaverei oder Frauenrechte enthรคlt, dann bekommt man den Eindruck, dass viele dieser Texte nicht zeitlos gรผltig sein sollten. Bei einigen Texten stellt sich die Frage, inwiefern sie jemals hรคtten gรผltig sein sollen. Wie lรคsst sich das nun mit den Gedanken zur Inspiration der Schrift zusammen denken?
Gott hat sich schon immer in dieser Welt eingemischt. Gott wirkt stรคndig in der Welt und versucht die Schรถpfung in seine bessere Zukunft zu locken. Wenn die Menschen also in einer gewissen Entwicklung stecken und in konkreten Situationen um Antworten ringen, dann wirkt Gott hier durch seinen Geist und bringt neue Impulse, die eine Weiterentwicklung ermรถglichen. Die Menschen sind aber frei, diese Impulse aufzunehmen oder nicht. Gott hatte mit den Menschen der Antike noch einen weiten Weg zu gehen, damit Themen wie Sklaverei oder Kinderarbeit angegangen und verรคndert werden konnten. Dabei musste Gott sich aber an das Tempo der Menschheit anpassen. Entwicklungen dauern und sind kompliziert. So lรคsst sich erklรคren, dass die biblischen Texte Gottes Geist atmen, also von Gottes neuen Impulsen zeugen, aber auch vieles enthalten, das heute bereits รผberwunden gilt und fรผr uns rรผckstรคndig wirkt. Der Grund ist, dass Gott uns in der Tat darรผber hinaus gefรผhrt hat und es ist davon auszugehen, dass Gott auch mit uns noch einen weiten Weg zu gehen hat.
Dieser prozesshafte und fortschreitende Blick auf die Bibel wirft natรผrlich wieder eine Menge anderer Fragen auf. Die wichtigste Frage wรคre, aufgrund welcher Grundlage wir aus heutiger Sicht die Bibel dann beurteilen sollten? Einen Ansatz dazu hat Martin Luther ins Gesprรคch gebracht. Ihm ging es damals um das Problem, wie die unterschiedlichen biblischen Stimmen im Hinblick auf die Einhaltung der jรผdischen Gesetze zu verstehen seien. Wรคhrend einige Texte die Einhaltung aller Gesetze als Voraussetzung fรผr das Heil forderten, verweisen andere auf den Glauben an Jesus, der ohne Einhaltung der Gesetze fรผr das Heil maรgebend sei. Luther fรผhrte daraufhin das Prinzip der โMitte der Schriftโ ein. Alle Bibeltexte mรผssten sich an Jesus als Mitte der Schrift messen lassen und das ermรถglichte ihm, ein Kriterium fรผr eine gewisse Form von Schriftkritik aufzustellen: โwas Christus nicht treibet, ist nicht evangelischโ. Entsprechend mรผssen wir heute auch vorgehen und alle biblischen Aussagen mit Jesus vergleichen. Denn wir glauben, dass Jesus das vollkommene Bild Gottes ist. Wenn sich biblische Autoren wie Mose, Josua, usw. in ihren Vorstellungen รผber Gott oder das Leben von Jesus unterscheiden, dann halten wir uns im Zweifelsfall an Jesus.
Ein weiteres Themenfeld im Bereich des Bibelverstรคndnisses ist die Frage nach der geschichtlichen Zuverlรคssigkeit der biblischen Berichte. Mรผssen wir als Christen davon ausgehen, dass die biblischen Berichte รผber die Entstehung der Welt oder รผber รผbernatรผrliche Wunder so passiert sind? Diese Frage ist auch deshalb so brisant, weil der christliche Glaube sehr zentral von Jesu sterben und Auferstehung handelt. Ohne historische Auferstehung scheint dem christlichen Glauben die Puste auszugehen.
Aber auch hier gibt es nicht nur schwarz/weiร, sondern sehr viel grau. Besonders die biblischen Geschichten vor dem babylonischen Exil gelten in der historischen Forschung als historisch fragwรผrdig. Man liest diese Texte besser als in Geschichten verpackte theologische Gedankengรคnge und รberlegungen. Darรผber hinaus gibt es allerdings viele biblische Erzรคhlungen, deren Historizitรคt man auch wissenschaftlich unterstรผtzen kann. Auch wenn vieles weiterhin umstritten ist, so kรถnnen wir beispielsweise die Darstellungen รผber das Leben Jesu ernst nehmen.
Hinzu kommt, dass die Bibel eine Vielzahl von unterschiedlichen Textgattungen aufweist, die man berรผcksichtigen sollte. Ein Gedicht (wie die erste Schรถpfungserzรคhlung aus Genesis 1) hat einen anderen Anspruch an Historizitรคt alsย ein Text aus einer staatlichen Geschichtschronik oder einem Reisebericht. All diese Texte sind wahr, ihre Wahrheit liegt aber auf einer vรถllig anderen Ebene.
Wenn es um die Frage nach Wundern geht, so trรคgt man hier meist gewisse Vorentscheidungen an den Text heran.ย Hรคlt man Wunder, also ein besonderes Wirken Gottes in der Welt, grundsรคtzlich fรผr unmรถglich, dann wird man auch mit den biblischen Wunderberichten entsprechend umgehen mรผssen. Man wird diese Texte immer noch als fruchtbringend und relevant fรผr das eigene Glaubensleben auslegen kรถnnen, deren Historizitรคt wird man aber nicht anerkennen kรถnnen. Bei allem Verstรคndnis fรผr diese Weltsicht, so mรถchten wir uns eine darรผber hinausgehende Offenheit bewahren und festhalten, dass wir die Grenzen dessen, was fรผr Gott mรถglich ist, nicht kennen. Wunderberichte ermutigen uns, dem Geheimnis Gottes mehr Raum zu geben und mit Gottes Mรถglichkeiten in unserem Leben zu rechnen.ย
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