Seit einigen Wochen gibt es in Deutschland Großdemonstrationen der PEGIDA. Das hat man mittlerweile sicher in den Nachrichten mitbekommen. Vor ein paar Tagen gab es auch in Düsseldorf eine Großdemonstration mit Namen DÜGIDA. Und ich sage es vorweg, ich finde diesen Aufruhr unmöglich, habe keinerlei Verständnis dafür und glaube, dass es mehr als angebracht ist, hier entschieden zu widersprechen.
Daher habe ich ein wenig recherchiert und möchte ein paar Gedanken zu dieser Bewegung und generell zum Thema Gastfreundschaft machen.
Der Slogan ist „Gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Aha. Ein Fremdwort. Was versteht man denn bitte Islamisierung?
Wikipedia klärt auf, dass dieser Begriff nicht dasselbe ist, wie eine Konversion zur islamischen Religion. Es geht darum, dass bei der Islamisierung in nicht islamisch geprägte Regionen oder Länder der Islam als vorherrschende Religion eingeführt wird. Also geht es um einen kollektiven Umwandlungsprozess. Analog könne man den Begriff „Christianisierung“ zum Vergleich heranziehen. Der Begriff wird auch rechtspopulistisch gebraucht, z.B. in Verbindung mit Begriffen wie „Überfremdung“ oder „Umvolkung“.
Da ich regelmäßiger „Heute Show“ Zuschauer bin, erfuhr ich in der letzten Sendung, dass die PEGIDA Demonstranten nicht so gerne mit der offiziellen Presse sprechen. Dafür aber mit Vertretern der vermeintlich russischen Medien. Für einen ersten Einstieg empfiehlt sich der Clip sehr gut.
Wenn man den Dialog mit Politik und Medien verweigert, dann schließt man sich selber aus dem demokratischen Prozess aus, so kommentiert Samuel Diekmann zutreffend.
Als nächstes habe ich mir die PEGIDA Homepage vorgenommen. Ich hatte gehört, dass es da ein Positionspapier gibt. Auch das ist sehr aufschlussreich.
Für mich sieht es so aus, dass sich PEGIDA zunächst mit Händen und Füßen dagegen wehren möchte, in die Nazi-Ecke geschoben zu werden. Na klar, da laufen auch Hooligans, Rechtsextreme, usw. mit, aber man will friedliche Aktionen und vor allem die gesellschaftliche Mitte repräsentieren. Man will für viele sprechen. Daher die Rufe „Wir sind das Volk“. Die ersten Punkte auf dem Positionspapier machen auf mich den Eindruck, den Nazi-Vorwurf abwenden zu wollen. Das Thema Asyl ist ja überrepräsentiert und kann ganz klar als Hauptanliegen der Bewegung verstanden werden. So heißt es, dass man „FÜR die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und politisch oder religiös Verfolgten“ sei, schließlich wäre das Menschenpflicht. Auch der Ruf nach menschenwürdiger Unterbringung von Asylanten scheint sehr menschenfreundlich. Schnellere Bearbeitungszeit für Asylanträge – soweit alles nachvollziehbar.
Aber will man wirklich mehr Flüchtlinge aufnehmen?
Nein.
Wenn man sich das Gesamtbild ansieht und zuhört, was bei den Demonstrationen gesagt wird, dann entsteht ein völlig anderes Bild. Es geht weiter:
Man will Integrationspflicht und vor allem, dass die Asylgesetze im Bezug auf Abschiebung voll ausgeschöpft werden. Wir kommen der Sache näher. Man will die abendländische Kultur geschützt sehen, ist gegen Parallelgesellschaften/Parallelgerichte in unserer Mitte, wie Sharia- Gerichte, Sharia-Polizei, Friedensrichter usw und gegen Hassprediger.
Aus diesem Positionspapier geht für mich eine einfache Gedankenkette hervor: PEGIDA Demonstranten haben die Befürchtung, dass in Deutschland radikale Islamisten einen Gottesstaat wie ISIS errichten werden und Politik und Gesellschaft das nicht sehen oder nicht sehen wollen.
Auf einer PEGIDA Seite kommentierte jemand entsprechend: „Der Verfassungsschutz NRW hat zugegeben, dass er Syrienrückkehrer, die als besonders gefährlich gelten, ca. 40 Leute, nicht überwachen kann. Damit sind dem Islamfaschisten-Terror alle Türen geöffnet. Das heißt nichts anderes, als das uns unsere Regierung und die entsprechenden Exekutive wie Polizei etc. nicht schützen können!! Nehmen wir es selbst in die Hand!!“
Das hinterlässt ein ganz ungutes Gefühl.
Was will man damit aussagen? Wir man sich demnächst Menschen vornehmen, die wie Terroristen aussehen? Ohne Gerichtsbarkeit und staatliche Organe? Und was hat das mit Asylanten zu tun?
Man muss nach einer Antwort nicht lange suchen. Bei Youtube findet man unter dem Stichwort „Lutz Bachmann“ schnell verschiedene Reden der PEGIDA – Veranstaltungen. Ich habe bei einigen reingehört und so einen Eindruck erhalten.
Man glaubt bei PEGIDA, dass vor allem kriminelle Asylanten hierhin kommen (auf einer PEDIDA Veranstaltung in Dresden hieß es, 90-95% der Asylanten seien Wirtschaftsflüchtlinge, die nicht abgeschoben würden). Die überforderten Kommunen können hier nichts tun. Man glaubt, dass vor allem Wirtschaftsflüchtlinge kommen und das Sozialsystem ausnutzen. Multikulti sei gescheitert, wir müssten davor Angst haben, dass demnächst – man sagt wie in Holland – Stadtteile entstehen, in denen Salafisten mit ISIS Fahnen umherlaufen und damit drohen, Kalifate auszurufen. Man könne dort nicht mehr unbehelligt über die Straße gehen. Glaubenskriege auf Deutschen Straßen, Stellvertreterkonflikte, usw. – das möchte PEGIDA verhindern. Also, Asylanten sind vor allem Wirtschaftsflüchtlinge und Salafisten. „Wer Krieg sät, wird Flüchtlinge ernten.“ Die Islamisten brächten ihr perverses Gedankengut mit nach Deutschland. Das hat natürlich auch Konsequenzen für staatliche Unterstützung für Ausländer. Zur Integration brauche man nämlich keine staatliche Hilfe, wer es nicht selber packt, will nicht und kann ja gehen. Und wer auf so ein Deutschland keine Lust hat, der kann ja auch gehen. Der Spiegel bringt es auf den Punkt: PEGIDA, das ist die neue Abkürzung für „Ausländer raus“.
Ach ja, eine weiteres Credo der Bewegung ist, dass die Presse alles verdrehe. Man rede das Problem klein. Die offiziellen Zahlen über Kriminalität und Kosten der Asylanten würden alle nicht stimmen. Die Presse wolle das Volk einfach nur ruhig halten. Lügenpresse, halt die Fresse.
Noch einmal auf den Punkt gebracht: PEGIDA betont immer wieder, sie seien für die Aufnahme von bestimmten Flüchtlingen. Das ist aber nur Theorie. Da sie gleichzeitig davon ausgehen, dass die bereits in Deutschland angekommenen Flüchtlinge zu 95% gar keine legitimen Flüchtlinge sind, sieht es praktisch so aus, dass man gegen Flüchtlinge ist.
Besonders scharmant ist die Frage, warum man in Dresden, wo diese „Spaziergänge“ angefangen hatten, überhaupt so eine Welle macht. Da gibt es fast keine Migranten und noch weniger muslimische Migranten. Nun ja, man wolle ja nicht warten, bis das der Fall sei. Also muss man etwas unternehmen. PEGIDA kündigt an, das demnächst in Deutschland ein anderer politischer Wind wehen würde. Die Zeit von Merkel wäre abgelaufen, demnächst würden wie in anderen europäischen Ländern Politiker gewählt, die PEGIDA -Themen aufgreifen.
In einem anderen Video des PEGIDA Ablegers in Düsseldorf mit immerhin 800 Besuchern, trat unter anderen Melanie Dittmer (Pro-NRW Beirat und Rechtsextremistin aus NRW) ans Mikrofon. Sie forderte, dass man die eigene Identität behaupten und verteidigen müsse. Eine witzige Randnotiz: Aus dem Publikum wurden dann „Ahu“ – Rufe laut. Das ist ein Schlachtruf der Hooligans. Dittmer antwortete daraufhin: „Damit haben die Spartaner schon gekämpft in Griechenland in der Reconquista und haben den Islam zurückgedrängt“ Sparta und Islam, lagen da nicht ein paar Jahre zwischen? Naja. Wie gesagt, man kann sich bei Youtube sehr umfassend ein eigenes Bild machen.
Man findet mittlerweile viele Artikel, die den Thesen der Bewegung Fakten entgegen stellen. (hier, hier oder hier)
Aber es geht um Identität. Patriotismus.
Das Argument lautet: Wer zu uns kommt, muss werden wie wir, oder gehen. Vielleicht ist das noch kein Rassismus, aber es ist Fremdenfeindlichkeit.
Und es zutiefst unchristlich.
ZIMZUM.
In seinem neuen Buch „The ZIMZUM of Love. A new understanding of Marriage“ hat Rob Bell wieder einmal einen Begriff aus der jüdisch-rabbinischen Tradition ausgegraben. Das lesenswerte Buch handelt eigentlich von Ehe, aber der Grundgedanke passt hier sehr gut. Was ist also ZIMZUM?
ZIMZUM ist ein hebräischer Begriff, den man mit „Platz schaffen“ übersetzen könnte. Man hat sich im rabbinischen Judentum über die Schöpfung Gedanken gemacht. Bevor Gott irgendetwas geschaffen hatte, gab es nur Gott. Folglich musste Gott sich selber „verkleinern“, also Raum schaffen, damit etwas entstehen konnte, was nicht Gott ist. Auch wenn dieser Gedankengang mir ein wenig zu räumlich formuliert ist, es macht schon Sinn. Damit etwas entstehen kann, das nicht Gott ist, muss Gott „Platz“ machen. Und dieses Platzmachen, das ist ZIMZUM.
Für Rob Bell ist ZIMZUM eine gute Beschreibung dessen, was Ehe ist. Aber grundsätzlich beschreibt es eben den Kern von Gottes Wesen. Gott schafft einen Raum für andere. Damit beginnt alles, das ist Gottes Ausdruck von Liebe.
Spannend ist, dass Gott zwar Menschen in seinem Bild geschaffen hat, aber eben keine anderen Götter. Gott hat sich nicht vervielfältigt, sondern er hat Raum geschaffen für etwas Fremdes und Andersartiges. Und Gott hat diesem andersartigen Wesen die Freiheit gegeben, anders zu sein.
Und dieses Platzschaffen hat Gott eine Menge gekostet. Ich selber denke, dass Gott dadurch letztlich nicht mehr derselbe ist. Wenn man Platz für andere schafft, dann verändert das einen immer auch selbst.
Dieser freie Raum für den anderen ist eine höchst fragile und sensible Angelegenheit. Keine Frage. Aber dieses Platzschaffen ist ein christliches Gebot.
Übt Gastfreundschaft. Römer 12,13.
Und ja, das ist sicher nicht immer sexy. Asylanten aufzunehmen kostet etwas. Natürlich sind fremde Menschen immer auch eine Bereicherung. Aber sie bringen Herausforderungen mit sich . Neue Menschen verändern immer auch das eigene Leben und die eigenen Identität. Und das kostet. Aber es gehört eben dazu, menschlich zu sein.
Vor kurzem las ist ein tolles Zitat von Pete Rollins, das diese Gedanken abrunden soll:
“Unsere Gastfreundschaft ist oft nicht mehr als eigennütziger Austausch, bei dem wir einige Leute zu unserem eigenen Vergnügen in unser Haus einladen. Unsere Gastfreundschaft ist an Bedingungen geknüpft, Bedingungen, die Höflichkeit, Respekt und eine gute Flasche Wein beinhalten. Obwohl an einer solchen Tatsache nichts auszusetzen ist, geht die radikale, unmögliche Gastfreundschaft, von der Jesus sprach, unendlich viel weiter. Es handelt sich dabei um eine Gastfreundschaft, die jenen die Türen öffnet, die nicht Teil unseres Freundeskreises sind, denjenigen, die uns wahrscheinlich keine Geschenke mitbringen oder sich nicht um unsere Gefühle scheren. Diese Sicht von Gastfreundschaft steht im Einklang mit Jesu Sicht von Liebe – einer Liebe, die von uns mehr verlangt, als lediglich diejenigen anzunehmen, die uns liebe (was manchmal sogar die unbarmherzigste Kriminellen tun). Sie verlangt von uns, jene anzunehmen, die uns gleichgültig gegenüberstehen oder die uns sogar verachten.“
Peter Rollins: Der orthodoxe Häretiker – und andere unglaubliche Geschichten. Marburg: Verlag der Francke-Buchhandlung, 2014, Edition Emergent, S. 45f.
– Jason
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