#weiterziehen
Nach diesen Ereignissen stellte Gott Abraham auf die Probe. Er sprach zu ihm: Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Gott sprach: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak, geh in das Land Morija und bring ihn dort auf einem der Berge, den ich dir nenne, als Brandopfer dar.
– 1.Mose 22
Es gibt wirklich verständliche Gründe, warum der eine oder die andere mit der Bibel auf Kriegsfuß ist. Texte wie dieser geben eine Steilvorlage. Ein Gott, der ein Menschenopfer fordert, ein Vater, der darauf eingeht und das Messer an seinen Sohn ansetzt.
Ist das nicht blutrünstig, geschmacklos, unerträglich?
Oder sogar primitiv?
Was für ein Gott kann soetwas verlangen?
Was für Menschen können an so einen Gott glauben?
Ich kann all diese Anfragen verstehen.
Aber man gebe mir einen Moment, um eine andere Sicht auf den Text zu geben. Ich gehe soweit zu sagen, dass mit einem anderen Blickwinkel dieser Text zu einem sehr wertvollen und progressiven Text werden kann. Die entscheidende Frage zu diesem Blickwinkel ist folgende:
Wie hat dieser Text in seiner Zeit funktioniert?
Diese Frage führt wiederum zu zwei anderen, die zuvor beantwortet werden müssen:
Was sind Elemente im Text, die für die ersten Zuhörer völlig normal gewesen sind?
und:
Was sind Elemente, die für damalige Ohren völlig ungewöhnlich, neu, provokativ oder verstörend gewesen sein müssen?
Dieser Text spricht von der Kultur Mesopotamiens. Sie handelt von Menschen, die man in die Steinzeit einsortieren sollte. Über die damalige Kultur wissen wir, dass Menschenopfer gewöhnlich waren – für Abraham muss es wenig verwunderlich gewesen sein, dass ein Gott soetwas verlangt.Die Götter tun soetwas eben.
Man stelle sich vor, wie in der Steinzeit sich die Dorfältesten um das Lagerfeuer versammelt hatten und diese Geschichte erzählten. Bis zu dem Punkt, an dem Abraham das Messer nimmt und seinen auf dem Opferaltar gefesselten Sohn schlachten will, ist noch nichts ungewöhnliches an der Geschichte.
Aber die Wendung der Geschichte – die wird in den Ohren aller Zuhörer eine radikal neue Idee gewesen sein: Der Gott Abrahams verzichtet auf das Menschenopfer! Abraham ging auf den Berg, um seinen Sohn zu opfern. Aber stattdessen opfert er seine falsche Vorstellung von Gott. Es gibt Autoren, die in dieser Geschichte das erste Zeugnis der Menschheitsgeschichte sehen, das den Übergang vom Menschenopfer zum Tieropfer markiert.
Für uns nicht sehr fortschrittlich – aber für Menschen in der Steinzeit ein revolutionärer Gedanke!
Und so können wir die Frage beantworten, wie dieser Text funktioniert hat. In der Zeit, in der er entstanden ist, hat der Text einer kleinen Bevölkerungsgruppe dazu verholfen, eine neue Sicht auf Gott zu bekommen und daraufhin anders zu leben.
Der Punkt der Geschichte ist daher nicht religiöser Fanatismus: Wenn Gott es sagt, dann machst du das einfach, egal was es ist. Keine Fragen, blinder Gehorsam. Der Punkt ist ein wenig weiter vorne angedeuet:
Und der HERR sprach zu Abraham: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will (…) und in dir sollen gesegnet werden alle Völker auf Erden.
– 1.Mose 12
Abraham sollte weiterziehen. Während es in seiner Zeit normal war, dass Väter ihre Söhnen religiös erzogen und zu Familienpriestern ausbildeten, so sollte Abraham weiterziehen. Dabei würde Gott ihm nicht nur eine neue Heimat zeigen im geographischen Sinn, er würde Gott selber auch anders kennenlernen. Und dadurch würden alle Menschen profitieren.
So funktioniert die Bibel.
Sie heftet sich an die Fersen Gottes und zeigt auf, wie Gott immer wieder Menschen berufen hat,
weiterzuziehen
neu zu entdecken
anders zu werden
anders zu leben.
Wie funktioniert die Bibel dann für uns?
Natürlich inspiriert sie uns ebenfalls zum Weitergehen. In ihr hören wir Gottes Stimme durch die Weltgeschichte, wie er uns zu einer neuen Zukunft beruft.
Und nicht zum Zurückkehren zu einer Vorstellung, die selbst Abraham verlassen sollte.
Eine letzte Frage.
Was sind die Dinge, aus denen Gott uns heute beruft, damit wir zum Segen aller weitergehen?
– Jason
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