Was wir mit der Bibel anfangen können #Teil 10

#Parabeln

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Die Christen hatten schon sehr lange ein Problem. Denn sie standen immer in der Versuchung, ihren Glauben in schlüssige und logische Lehrsätze zu verpacken. Und über diese Lehrsätze streiten sie sich nun schon seit Jahrtausenden. Eine Einigung ist übrigens immer noch nicht in Sicht.

Ihr großes Vorbild, Jesus, hat es oft anders gemacht. Statt mit präzisen, geschliffenen und ausgefeilten Lehrsätzen an seine Zuhörer heranzutreten, hat er oft Geschichten erzählt. Gleichnisse oder Parabeln werden sie häufig genannt. Einmal erklärte er, warum er das getan hat:

„Darum rede ich zu ihnen in Gleichnissen, weil sie sehen und doch nicht sehen, hören und doch nicht hören und nicht verstehen“

– Matthäus 13

Jesus wollte gar nicht, das man ihn versteht?

Genau.

Er erzählte Geschichten, die Menschen zunächst verstört zurücklassen. Diese Geschichten kann man nicht einfach begreifen, abhacken, in die verstaubte Abstellkammer der Überzeugungen stecken und dann weitergehen. Entweder, man ignoriert sie – oder man muss sich mit ihnen tiefer auseinandersetzen. Man muss mit ihnen ringen, sie aushalten und sich von ihnen nerven lassen. Denn eines haben Gleichnisse alle gemeinsam: Sie führen niemals zu einer einfachen Lehraussage. Wer aus einem Gleichnis einen solchen Satz herausarbeitet, der hat es wohl gerade nicht richtig verstanden.

Reibt man sich an diesen Geschichten, dann wird man irgendwann merken, dass diese Geschichten einen in ihren Bann ziehen und verändern. So unzugänglich, wie sie doch sind, so können sie helfen, zu einem tieferen Glauben und zu einem veränderten Leben zu gelangen.

Genug der Theorie.

Als Trockenübung zur Interpretation von biblischen Gleichnissen, hier ein modernes seiner Art aus der Feder von Peter Rollins:

Stell dir vor, dass du in einer Welt lebst, in der keine Christen toleriert werden. Dann, eines Tages, wirst du festgenommen und vor Gericht gestellt.

Die Staatsanwaltschaft hat dich bereits eine längere Zeit beobachtet und hat verschiedenste illegale Aktivitäten dokumentiert. Die Beweislast ist erdrückend.

Zu Prozessbeginn werden dem Richter dutzende Fotos gezeigt. Darauf ist zu sehen, wie du Gottesdienste besuchst, auf religiösen Tagungen Reden hältst oder an Lobpreis- und Gebetsveranstaltungen teilnimmst. Dann haben sie verschiedene christliche CDs und Bücher aus deinem Bücherregal mitgebracht.  Sie präsentieren eine Art Tagebuch, in dem deine persönlichen Gebete, spirituelle Gedichte und Gedanken über deinen Glauben aufgeschrieben sind. Und schließlich wird dem Richter deine Bibel vorgezeigt. Sie weist viele Gebrauchsspuren auf, ist an vielen Stellen angestrichen und mit Anmerkungen versehen. Es ist deutlich zu sehen, du hast diesen heiligen Text viele viele Male gelesen und studiert.

Du hast den ganzen Prozess über still gesessen, vor Angst erschüttert. Tief in deinem inneren weißt du, dass die Beweislast eindeutig ist. Du erwartest den Urteilsspruch und die anschließende langjährige Gefängnisstrafe – vielleicht sogar eine Hinrichtung.

Nach einer Pause wirst du zurück in den Gerichtssaal gebracht, die Urteilsverkündung würde folgen. Der Richter setzt an und lässt verlauten:

„Im Lichte der vorangegangen Verhandlung verkündige ich, dass der Angeklagte in allen Punkten der Anklage für nicht schuldig gesprochen wird.“

Du befindest dich in einer Art Schock. Verwirrung, Wut und Widerstand steigen in dir auf. ehe du dich versiehst stehst du direkt vor dem Richter und forderst eine Erklärung. Schließlich gab es Beweise.

„Welche Beweise?“, fragte der Richter.

„Was ist zum Beispiel mit den Gedichten, die ich geschrieben hatte?“

„Sie zeigen, dass du ein Poet bist. Mehr nicht.“

„Aber was ist mit den Gottesdiensten, bei denen ich gepredigt habe? Was mit den vielen Momenten, bei denen ich im Gottesdienst voller Leidenschaft mitgesungen habe? Was mit den schlaflosen Gebetsnächten?“

„Es beweist, dass du ein guter Redner und Schauspieler bist. Mehr nicht.“, antwortete der Richter, „Es ist offensichtlich, dass du die Menschen um dich herum verblendet hast, vielleicht hast du dich sogar selbst verblendet. Aber dieser Schwachsinn ist nicht genug, um vor einem Gericht standzuhalten.“

„Aber das ist Wahnsinn!“, schreist du. „Es sieht so aus, als würde überhaupt kein Beweis für Sie zählen“

„Ganz sicher nicht“, antwortete der Richter, als wollte er dir ein großes, längst vergessenes Geheimnis verraten…


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Kommentare

2 Antworten zu „Was wir mit der Bibel anfangen können #Teil 10“

  1. Avatar von Eun-San
    Eun-San

    Ich mag es, wie Pete Rollins mit Gleichnissen umgeht. Er hat da, meine ich, auch einmal Kierkegaard zitiert: „Was ist ein Dichter? Ein unglücklicher Mensch, der heiße Schmerzen in seinem Herzen trägt, dessen Lippen aber so geartet sind, daß, während Seufzer und Geschrei ihnen entströmen, diese dem fremden Ohr wie schöne Musik ertönen.“ Ist viel Pathos, aber trotzdem: Weniger wahrheitsverkündende Aussagesätze, sondern vielmehr das Bluten des Künstlers – oder jedenfalls echtes in Form gebrachtes Empfinden – auf der Bühne, vor seinen Lesern, seinen Zuhörern oder sonstigen Empfängern berühren uns wirklich.

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