Von Folterbericht und Weltgericht

Von Folterbericht und Weltgericht

Wer hätte das gedacht oder auch nur geahnt. Die USA haben im Zuge des Krieges gegen den Terror Gefangene in Geheimgefängnissen gefoltert. Nun wurde ein Bericht über die Foltermaßnahmen veröffentlicht und der Aufschrei ist – naja, groß ist er nicht. Man rümpft öffentlich die Nase, die USA seien eben auch nicht das Maß aller Dinge, kein Modell für Menschenrechte, keine moralische Instanz. Thomas Berbne vom NDR kommentierte diese Enthüllung, es sei eines der dunkelsten Kapitel der amerikanischen Geschichte. Die Amerikaner würden ihre Werte wegwerfen. Der Schaden für das Ansehen der USA sei gewaltig. Aber – die Veröffentlichung des Berichts ist ein erster Schritt der Aufarbeitung. Obama hat dem fiesen Treiben ein Ende gesetzt. Der US Kongress hat erkannt, verbergen und vertuschen ist kein weg. Die USA könnten aus ihren Fehlern lernen. 

Ich stimme dem Spiegel zu, wenn er Titel „Für den Westen geht es jetzt um alles“. Es ist keine rein amerikanische Angelegenheit, die Folterungen fanden über die halbe Welt verteilt statt, wohl auch in Europa.

Ah, einen Satz habe ich vergessen:

„Eine juristische Aufarbeitung ist kaum vorstellbar, aber ein Eingeständnis der eigenen Schuld wäre ein Anfang“.

Also, Kirche im Dorf lassen. Die Aufregung ist ja verständlich, aber alles im Rahmen bitte. Jetzt nicht übertreiben. Das ganze Thema wird jetzt ein wenig in Talkshows zerredet, der moralische Zeigefinder geschwungen, ein paar Artikel und gut ist. Ein Anfang eben. Und nicht mehr.

Der verhaltene Aufschrei gehört eben mit dazu. Er ist einkalkuliert. In unserer westlichen Welt gehören Menschenrechte zum Image, wie für Megakonzerne die Nachhaltigkeit. Der Aufschrei ermöglicht uns, das Selbstbild des aufgeklärten Westens aufrecht zu erhalten. Wir sind die Guten. Die anderen, das sind die Bösen. Und klar, wir sind nicht fehlerfrei. Aber bei uns werden Dinge wenigstens beim Namen genannt. Wir können aus Fehlern lernen. Das reicht auch. Juristische Aufarbeitung ist dann nicht mehr so dringend. Wichtig ist nur der Aufschrei. Denn damit zeigen wir uns selber, dass wir immer noch die Guten sind. Wir finden Folter eben Scheiße, deswegen sind wir moralisch besser als der Ganze Pöbel von woanders.

Ex-Präsident Bush war es noch wichtig, die geistigen Väter der Folter noch vor der Veröffentlichung des Berichtes als Patrioten zu adeln. Für das Vaterland müssen eben Opfer gebracht werden. Und so lange es diese Moslems trifft – meine Güte. Halb so schlimm. So ganz unschuldig werden die ja schon nicht gewesen sein. Waren doch eh Terroristen. Nicht die feine Art, aber…für mehr als einen Aufschrei reicht es eben nicht. Und damit bitte niemand auf dumme Gedanken kommt – juristisch ist die Ganze Sache aussichtslos.

Mich ärgert so etwas. Wir alle ärgern uns.

Beim Nachdenken fallen mir dann aber Gespräche aus der letzten Zeit ein, in denen es zwar nicht um Folter ging, aber dennoch eine ähnlich verdrehte Weltsicht mitgeschwungen ist. Diese Weltsicht, dass Menschen eben noch nicht ganz gleich sind.

Diese westliche Weltsicht findet seine Parallelen in der christlichen Theologie. Manchmal wird von einem „christlichen Menschenbild“ gesprochen. Damit meinen verschiedene Leute verschiedene Dinge, dennoch gehen mehrere Gespräche in eine ähnliche Richtung. Mit Verweis auf prominente Kirchenväter ist das „christliche Menschenbild“ ein Synonym dafür, dass der Mensch eben „Sünder“ ist. Er ist völlig verdorben, in jedem Bereich seines Seins durch die Sünde gekennzeichnet. Die Sünde ist das, was den Menschen kennzeichnet, nicht mehr die Gottes Ebenbildhaftigkeit, die durch den Sündenfall verloren gegangen war. Und als völlig verdorbener Sünder hat der Mensch auch nichts anderes als Tod, Strafe und Gericht verdient.

Theoretisch gilt das auch für den Christen. Diese sind aber durch Gottes geheimnisvolle Erwählung geliebt und gerettet worden, sie bekamen neues Leben und sind Kinder Gottes. Es ist zwar nicht ihr Verdienst, aber „Kind Gottes“ ist schon etwas besser, als „verdorbener Sünder“. Und solange man betont, dass es nicht der eigene Verdienst ist, so kann man doch ein gewisses christliches Selbstbewusstsein aufbauen. Man ist sicher nicht besser als die Ungläubigen, aber man ist besser dran. Man gehört zu den Privilegierten.

Dieses christliche Menschenbild geht also davon aus, dass es eine Klasse der Privilegierten gibt und eine Klasse der Sünder. Der Graben zwischen beiden ist menschlich unüberbrückbar und zugleich geheimnisvoll von Gottes Souveränität gewollt und aufrecht erhalten. Sünder haben Gericht verdient. Und manchmal fügt es Gott so, dass das Gericht bereits zu Lebzeiten beginnt.

Ob Christ, Humanist, Atheist oder sonstetwas – immer dann, wenn in einer Gesellschaft ein Denken als Bezugsrahmen dient, in dem eine Personengruppe zurecht privilegiert ist (ob der Grund göttliche Erwählung, die Überlegenheit des Westens, oder etwas anderes ist, spielt kaum eine Rolle) und andere eben aus unterschiedlichen Gründen gerechtfertigt mit weniger ausgestattet sind – dann wird es Foltergefängnisse geben, Demonstrationen gegen Zuwanderer oder Programme wie Frontex-Plus. 

Erfreulicher Weise entdecken immer mehr Christen die jüdischen Wurzeln ihres Glaubens. Dort wird der Mensch völlig anders gesehen. Er ist zuallererst Gottes Ebenbild. Und auch die Sünde kann dies nicht ändern. Der Mensch als Geschöpf hat Wert. Sünde ist alles, was diesen Wert nicht anerkennt und ihm zuwider handelt. Und durch die Entwürdigung des Menschen, ist die Sünde auch ein Affront gegen den Schöpfer. Dieses Menschenbild kennt keine unterschiedlichen Klassen. Und sie kennt auch keine fatalistische Grundhaltung, die dem gefallenen Menschen nichts anderes zugesteht, als das Schlimmste. Als Gottes Ebenbilder gebührt es sich, jedem Menschen Würde und Ehre zuzugestehen.

Die Kirche hat eine radikale Botschaft. Jeder Mensch ist Ebenbild Gottes. Der Moslem wie der Christ. Gott ist nicht auf der Seite der Christen und stellt sich gegen alle anderen. Niemand kann Gott auf seiner Seite wissen. Gott hält sich zu Niemand exklusiv. Gott ist für alle.

Da gibt es dieses Gleichnis von Jesus, in dem er von dem Weltgericht redet (Mt. 25,31ff). Scheinbar widerspricht Jesus hier dem, was ich gerade ausgeführt habe. Denn er spricht davon, dass Gott die Menschen am Ende in die Gerechten und die Verfluchten einteilt. Die einen kommen ins Paradies, die anderen in die Hölle. Also doch zwei Klassen? Ich denke nicht. Vielmehr nutzt Jesus dieses Gleichnis, um gerade diese Einteilung in Klassen subversiv zu durchbrechen.

Jesus spricht in seinem Gleichnis von unterschiedlichen Gruppen, die natürlich historisch nicht eins zu eins übertragbar sind. Vielleicht unterscheiden sich die Kategorien von Jesu Zuhörern letztlich doch nicht all zu sehr von unseren eigenen: Hungrige und Durstige wie auch Nackte sind Menschen, die unter dem Existenzminimum leben. Arme, Bettler, Obdachlose, Hartz VI – Empfänger. Schmarotzer. Dann spricht er von Fremden, die aufgenommen werden. Fremde, das sind die Ausländer, die haben eine andere Kultur und sicher auch einen anderen Glauben. Illegale Einwanderer, Wirtschaftsflüchtlinge, Überfremdung – das fällt mir dazu ein. Dann redet er von den Kranken. Krankheit war immer auch ein Zeichen von Gottes Missgunst. Es hat aber auch etwas mit Wohlstand zu tun, auch damals. Medizinische Behandlung kostet Geld. Manche Krankheiten kriegen Reiche Menschen nicht. Die hält man sich vom Leib. Man kann sich ja anstecken. Ebola-Patienten. Schließlich redet Jesus noch von denen, die im Knast sitzen. Gewaltverbrecher, ISIS-Rückkehrer, Verbrecher. So etwas in der Art.

Der Punkt ist nun, dass Jesus sagt, dass die Gerechten sich dadurch auszeichneten, dass sie diese Kategorien im praktischen Handeln ignorierten. Gerecht ist, wer so lebt, als gäbe es diese Kategorien nicht. Gerecht ist, wer diesen scheinbar unwürdigen Menschen mit Würde begegnet. Nicht in der Theorie, sondern im Leben. Durch Kleidungsspenden, Gastfreundschaft, Krankenbesuche, Gefangenenbesuche, usw. Es geht hier nicht darum, dass Richtige zu Glauben, bekehrt zu sein oder einer Kirche anzugehören. Es geht um Taten. Da klingen bei jedem Protestanten die Alarmglocken: Ist das nicht Werksgerechtigkeit?

Ja. Das ist es.

Und es stammt von Jesus.

Nur mit dem Unterschied, dass die Gerechten im Gleichnis überhaupt kein religiöses Anliegen haben. Sie tun was sie tun nicht, um in den Himmel zu kommen. Sie tun es, weil es richtig ist. Sie tun es einfach. Aus der Antwort der Gerechten in den Versen 37-40 geht hervor, dass diese Menschen scheinbar keine externe Motivation für ihr handeln hatten. Die Gerechten hatten im Fremden, im Verbrecher oder im Armen nicht den König oder gar Gott gesehen. Sie sahen es einfach als richtig an, dem anderen menschlich zu begegnen. Jesus selber macht aber deutlich, dass diese Tat, die menschliche Kategorien übergeht und die würdevolle Gleichheit aller Menschen als Grundlage hat, eine zutiefst religiöse Tat ist. Denn im Fremden begegnet dem Gerechten Gott selber.

Das stellt dann übrigens auch eine andere Dynamik auf den Kopf. Die Kategorien in unserem Kopf können nämlich auch eine fromme Fassade erhalten. Die Unterprivilegierten werden gerne als Unterprivilegierte gesehen, so dass wir gnädig unsere Hand herabreichen können. Bei Jesus tritt uns aber der Weltenherrscher, der König höchster Würden in dem Armen und im Fremden gegenüber. Da ist an eine herablassende Haltung wohl kaum zu denken.

Aber genau das ist der Punkt.

Sehe ich in dem Anderen etwas Heiliges, etwas Göttliches –  dann ist das eine Geisteshaltung, die Sprengkraft hat. Das kann etwas Ändern.

– Jason

Ein kleiner Nachtrag.

Ich habe in den letzten Tagen lange überlegt, ob es in der Bibel auch einen Fall von Folter gegeben hat. Mir ist keiner eingefallen. Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Jesus ist am Kreuz gefoltert worden. Wenn das mal kein deutliches Zeichen ist, dann weiß ich auch nicht. Am Kreuz stirbt der menschgewordene Gott einen Foltertod. Gottes „Nein“ zu Folter ist so etwas von deutlich Kern des Evangelium, klarer geht es nicht.


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