Kann Sünde von Gott trennen?

Dieses Jahr konnte ich ein schon länger angedachtes Projekt realisieren: Den Remix-Podcast.

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Zusammen mit einigen Freundinnen und Freunden aus der Mosaik-Community setzen wir uns ungefähr einmal in der Woche zusammen und diskutieren über Theologie, Aktivismus und Kreativität. Aus diesem Grund ist meine Blogger-Aktivität im letzten Jahr stark reduziert gewesen, es wird sich zeigen, wie das im nächsten Jahr wird.

Gerne würde ich an dieser Stelle aber eine Fragestellung aufgreifen, die in der letzten Remix-Episode (Live Event) aufgetaucht ist. Diese besondere Folge war vor allem an Thorsten Dietz Buch „Sünde -Was uns heute von Gott trennt“ angelehnt. Thorsten hat sich fast zwei Stunden lang von uns zu dem Thema grillen lassen und dabei eine Vielzahl an hilfreichen Dingen gesagt, es lohnt sich da noch einmal genauer reinzuhören.

Im zweiten Teil ging es dann aber um eine Frage, die sich auf den Untertitel des Buches bezogen hat. Rolf Krüger fragte per Facebook-Kommentar: “Sünde trennt uns von Gott – wegen ihr können wir keine Gemeinschaft mit Gott haben” – diese Idee steht häufig im Zentrum, wenn jemand das Evangelium erklärt. Welche biblischen Belege siehst du dafür – jenseits von Jesaja 59,2?“ (ab 1:09 Stunde)

Über diese Frage hatte ich mich besonders gefreut, da die Frage nach der Trennung von Gott bei Mosaik vor einiger Zeit intensiv diskutiert wurde und wir in der Predigtreihe „verbunden“ einen etwas eigenen Ansatz erarbeitet haben. Aber dazu gleich mehr.

Als ich das Buch von Thorsten Dietz in die Hand bekommen hatte, viel mir der Untertitel ebenfalls direkt auf. Beim Lesen des Buches stellte ich aber fest, dass Thorsten den Aspekt der Trennung von Gott gar nicht so sehr betont hat (vielleicht muss ich noch einmal gründlicher reinlesen). Der Schwerpunkt liegt bei ihm meiner Meinung nach klar darauf, dass der theologische Begriff „Sünde“ für heutige Leserinnen und Leser relevant und verständlich durchdacht werden soll. Das ist Thorsten aus meiner Sicht bemerkenswert gut gelungen.

Die Frage nach der Trennung von Gott ist vielleicht nicht so sehr Thema des Buches gewesen, dennoch möchte ich sie aufgreifen und auch hier einige Ideen der Prozesstheologie mit einfließen lassen.

Woher kommt die Idee, dass Sünde von Gott trennt?

Mir persönlich ist diese Idee quasi in die Wiege gelegt worden, ich bin damit aufgewachsen. Ich glaube allerdings, dass diese Ideen weiter verbreitet sind. Zusammenfassen würde ich sie wie folgt: Bereits in der Garten-Eden-Erzählung sind erste Ansatzmöglichkeiten, dort sind Gott und Mensch in Gemeinschaft, die Menschen sündigen aber und so bricht die Gemeinschaft ab. Als Symbol dafür werden die Menschen aus dem Garten-Eden geworfen. Der Weg zurück, in die Gemeinschaft mit Gott, wird von einem Engel mit loderndem Schwert verbaut. Gottes Heiligkeit lasse es nicht zu, dass er mit Sündern in Kontakt tritt.

Denn Heiligkeit ist hier als eine Art Sauberkeit oder Perfektion gedacht, die sich möglicherweise vor der Sünde schützen müsse, um nicht kontaminiert zu werden. Andere sagen, dass Gottes Heiligkeit aggressiv auf Sünde wirkt, so dass kein Sünder vor Gott bestehen kann. In jedem Fall gäbe es keine Beziehungsmöglichkeit, Sünde trennt von Gott.

Die Unvereinbarkeit von Gott Heiligkeit und sündigen Menschen wird im Hinblick auf das Jenseits zu einer brisanten Problematik. Den Sünder erwartet nach dem Tod die ewige Trennung von Gott, die Hölle.

Man könnte es auch so formulieren: Die Idee, dass Sünde von Gott trennt, schafft eine grundsätzliche Kategorie für Menschen, die sich gegen Gott gestellt haben und gegen die sich Gott daher ebenfalls stellt. Was meint es nämlich, getrennt zu sein? Dieses getrennt sein ist ein „Außerhalb“-Sein von allem, was Gott kennzeichnet. Wer getrennt ist von Gott, hat keinen Zugang zu Leben, Leibe, Heil, Frieden, Glück, Gerechtigkeit, Vergebung, Gnade, usw. Wer von Gott getrennt ist, den erwartet daher nichts als Schmerz, Leid, Strafe, Zorn und Unheil.

Soweit zu meinen Assoziationen mit dem „Getrenntsein von Gott“. Thorsten Dietz hat zu dem Thema nicht sehr ausführlich antworten können, aber seine Metapher aus der Episode könnte weiterhelfen. Thorsten sprach von der Sünde als “Beziehungsstörung”. In einer intakten Beziehung könne man wenig falsch machen, da der Andere immer einen Vertrauensvorschuss gebe und auch unglückliche und verletzende Äußerungen wohlwollend interpretiert werden würden: „Er hat es bestimmt gut gemeint“. In einer gestörten Beziehung könne man hingegen nichts richtig machen, da alle gut gemeinten Taten negativ interpretiert werden würden.

Adaumir ist im Gespräch darauf auch eingegangen und meinte, dass es im theologischen Gespräch oftmals nur den Gedanken einer völligen Trennung von Gott gebe, oder von einer 100%igen Beziehung. Alles dazwischen ist wenig angedacht.

Die Metapher der Beziehungsstörung passt aus meiner Sicht recht gut zu den Gedanken, die wir uns bei Mosaik in der Vergangenheit gemacht haben. Seiner Zeit haben wir die These diskutiert, dass es nicht möglich ist, von Gott getrennt zu sein. Die gesamte Schöpfung ist zu jeder Zeit auf unterschiedlichste Weise mit Gott in Verbindung.

Diese Idee wird auch in der Prozesstheologie vertreten, dort noch mit der Ergänzung, dass die Schöpfung auch miteinander auf unterschiedlichste und vielschichtig Weise verbunden ist. Diese Verbundenheit aller Dinge war für uns dann auch theologischer Anlass zu sagen, dass es uns betrifft, wenn Geflüchtete im Mittelmeer ertrinken.

Wie kann man nun die Verbundenheit mit Gott denken?

Ein Punkt ist, dass wir mit Gott als dem Erhalter des Lebens verbunden sind. Gott gedacht als Daseinsgrund ist in jedem Augenblick notwendig zum Fortbestand der Schöpfung. Die Psalmisten formulieren: „Entziehst du Ihnen deinen Lebensatem, so schwinden sie dahin“.

Bei Mosaik glauben wir darüber hinaus, dass Gott mit jedem Menschen im Gespräch ist. Die Sehnsucht in jedem Menschen nach Liebe, Bedeutung und Bestimmung sind Gottes flüsternde Worte, die uns zu Gott selber hinziehen. Die Prozesstheologie hat diesem Rufen Gottes viel Aufmerksamkeit geschenkt. Demnach lockt („lure“) Gott die Schöpfung in seine bessere Zukunft.

Das Reden Gottes steht im engen Zusammenhang mit Gottes Liebe zur gesamten Schöpfung. Bei Mosaik haben wir es so formuliert: „Gott ist für uns, nicht gegen uns“. Es gibt keine Kategorie für Geschöpfe, die von Gottes Liebe ausgeschlossen sind. Man kann es auch mit Paulus sagen: „Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen“. Wir glauben, dass Gott die Welt („Kosmos“) geliebt hat, nicht nur einen kleinen Teil der Menschen, die aus glücklichen Umständen die richtigen religiösen Ansichten glauben. Gottes Liebe zeigt sich schließlich in Gottes Überzeugungskraft, in Gottes wohlwollendem Werben um uns. Da die Liebe niemals aufhört können wir darauf bauen, dass Gott niemals aufhören wird zu lieben. Es ist Gottes Wesen.

Eine ganz besondere Art der Verbundenheit wird außerdem in der Geburt Jesu deutlich, die Theologie spricht von der Inkarnation. Gott wird Mensch, wird Teil der Schöpfung. Darüber möchte ich in diesem Jahr mehr nachdenken, hier nur so viel: Die Inkarnation kann als Antwort auf die Frage verstanden werden, wie Gott in dieser Welt gegenwärtig ist. Es ist schwer, an die Inkarnation und an die Allgegenwart Gottes zu glauben, wenn man gleichzeitig eine strikte Trennung aufgrund der Sünde annimmt.

Diese Gedanken können helfen, die Idee der „Trennung“ von Gott durch die Metapher der „Beziehungsstörung“ zu ersetzen.

Die Schöpfung ist in der Lage, Gottes Rufen nicht zu folgen. Die Beziehung zu Gott kann massiv gestört sein. Entsprechend könnte man auch sagen, dass wir Menschen durch Sünde nicht voneinander getrennt werden, sondern dass die Beziehungen an Qualität verlieren und destruktiv werden. Genauso, wie wir nicht aus unserer Relationalität und Verwobenheit mit der Schöpfung aussteigen können, bleiben wir immer mit Gott verbunden. Sünde ist demnach eine Zustandsbeschreibung von Beziehungen, nicht ein Getrenntsein.

Diese Herangehensweise hat weitreichende Konsequenzen. So ist es möglich, dass Angehörige anderer Religionen oder sogar Nicht-Glaubende auf den Ruf Gottes hören und das Richtige tun, auch wenn diese Menschen keinen Bezug zum christlichen Glauben haben.

Gottes Heiligkeit bleibt dann immer noch ein göttliches Nein der Sünde gegenüber. Sünde führt dann aber nicht zur Ausgrenzung, vielmehr ist Heiligkeit dann Gottes heilsame Aktivität der Wiederherstellung gestörter Beziehung. Gottes Heiligkeit heiligt.

Und auch bezogen auf die Frage nach dem Jenseits ermöglicht dieser Zugang neue Hoffnung: Vielleicht ist die Hölle irgendwann wirklich leer geliebt.


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