In meinen ersten Jahren als Christ hatte ein Kurzfilm der Münchener Jugendgruppe Soulsaver mein Verständnis vom Kreuz stark beeinflusst. Darin werden zunächst einige Fakten über Blitze aufgezählt. Stromstärke, Hitze, usw. Dann kommen einige Infos über Blitzableiter. Schließlich die Botschaft: Jesu Tod am Kreuz funktionierte wie ein Blitzableiter. Am Kreuz wurde Jesus vom Zorn Gottes getroffen, der sich wegen der menschlichen Sünde zu einem ungeheuren Unwetter aufgeladen hatte. Wer an Jesus glaubt, der ist vor dem ultimativen Stromschlag sicher, denn Jesus hat ihn am Kreuz bereits entladen. Wer nicht glaubt, den erwartet eben Gottes Zorn.
Wirklich viel reden Christen in meinem Umfeld nicht über den Zorn Gottes, man redet lieber über die Liebe Gottes. Trotzdem dürften die meisten Christen davon ausgehen, dass Gottes Reaktion auf menschliche Verfehlungen Zorn und Strafe ist. Was damit gemeint ist, wird zwar nicht immer deutlich gemacht, aber tief verschüttet in unserer religiösen Psyche steckt doch die Angst, dass uns Menschen von Gott zugefügtes Unheil erwarten könnte, so wir uns nicht an die Regeln halten.
Dieses drohende Unheil ist für viele die eigentlich Triebfeder gewesen, sich dem christlichen Glauben zu öffnen. Das gilt auch für mich. Den christlichen Glauben anzunehmen war genauso logisch, wie sich einen Blitzableiter zuzulegen. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Lieben wir es nicht, auf der sicheren Seite zu sein? Und man findet jede Menge Bibelstellen, die auf den ersten blick ins Schema passen: „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.“ – das sagte sogar Jesus im Johannesevangelium.
Im Nachhinein denke ich, dass diese Grundeinstellung zum Glauben zu einer ganz seltsamen Gottesbeziehung geführt hat. Vor Gott musste man sich in Acht nehmen, der war streng, reizbar, distanziert und in jedem Fall mit Vorsicht zu genießen. Jesus dagegen war die ultimative Liebe, Jesus war gut, für mich, gnädig, zugewandt, konnte verzeihen und würde im Zweifelsfall sich für mich einsetzen. Jesus und Gott waren für mich immer zwei Personen, die zwar laut Trinitätslehre eins waren, aber das konnte ich nie innerlich verarbeiten. Vielmehr erinnere ich mich noch an meinen ersten Gottesdienst in einer charismatischen Gemeinde, in dem oft wiederholt wurde, dass Gott gut sei – das war für mich seltsam neu. Gott war heilig und gerecht. Aber gut?
Am Kreuz zeigte sich für mich dieselbe Gespaltenheit. Da war der zornige Gott, der sich wie ein Damoklesschwert über mir befand und dann war da Jesus, der sich am Kreuz schützend vor mich gestellt hatte. Jesus hat den Zorn auf sich genommen. Ich habe mir nie tief Gedanken darüber gemacht, es ist mir nie bewusst gewesen, aber so verstanden hat Jesus mich vor Gott gerettet. Als wäre Gott die große Gefahr, letztlich das größte Problem des Menschen.
Und das hat eine ganz einfache Folge in meinem Leben gehabt. Denn es ist immer so, wir werden mit der Zeit immer in das Bild verwandelt, welches wir von Gott haben – ob es diesen Gott gibt oder nicht. Und wenn mein Bild von Gott davon geprägt war, dass Gott eigentlich gegen die Menschheit eingestellt ist – ausgenommen diejenigen, die sich vor ihm hinter Jesus in Deckung bringen konnten – dann zeigte sich das in meinem Leben dadurch, dass ich ebenfalls verurteilend gegenüber Menschen eingestellt war, die nicht dasselbe glaubten wie ich. Mittlerweile versuche ich allerdings Gottes Wesen durch Jesus zu verstehen, ein gespaltenes Gottesbild funktioniert für mich nicht mehr.
Wenn Jesus für mich bestimmt, wer und wie Gott ist, dann ist Gott durch und durch für alle Menschen. Und die Sache mit Gottes Zorn? Hat Jesus am Kreuz nun den Zorn Gottes abbekommen und erdulden müssen? Zunächst muss man festhalten, dass man für diese Sicht nur eine einzige Bibelstelle heranziehen kann, nämlich Jesaja 53. Dieser Text ist Jahrhunderte vor Jesus geschrieben worden. Die Autoren wollten damit einen anderen Punkt machen, den wir völlig verdrehen, wenn wir hier hinein lesen, dass Gott am Kreuz Jesus für unsere Sünden bestrafte. Alle anderen Bibelstellen weisen keinerlei Verbindung zwischen Gottes Zorn und Jesu Tod am Kreuz auf. Auch die Idee, dass Jesus am Kreuz für unsere Sünden bestraft wurde, gibt es nicht in der Bibel.
Dennoch wird oft vom Zorn Gottes geredet. Die Stelle, in der das am deutlichsten gemacht wird, ist Römer 1,18ff. Dort heißt es: „Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alles gottlose Wesen und alle Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten.“ Es lohnt sich, hier den Kontext zu lesen. Es geht anschließend darum, dass die Menschen sich nicht herausreden können, so nach dem Motto, Gott habe sich ihnen nicht zugewendet. Die Argumentation läuft darauf hinaus, dass der Zorn Gottes die einzige mögliche Konsequenz ist. Und worin besteht diese Konsequenz? Feuer vom Himmel? Unglück? Unfälle? Krankheiten? Wird Gott ihnen Saures geben?
Was sagt der Text?
„Gott hat sie dahingegeben in verkehrten Sinn, sodass sie tun, was nicht recht ist, voll von aller Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier, Bosheit, voll Neid, Mord, Hader, List, Niedertracht; Zuträger, Verleumder, Gottesverächter, Frevler, hochmütig, prahlerisch, erfinderisch im Bösen, den Eltern ungehorsam, unvernünftig, treulos, lieblos, unbarmherzig.“
Das ist doch erstaunlich! Hier ist Zorn eben nicht so verstanden, dass Gott dem Menschen ein Übel zufügt. Nein, Gott hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, hat geklopft, gewartet und geliebt. Aber wenn der Mensch sich der Liebe Gottes hartnäckig widersetzt, dann lässt Gott den Menschen laufen. Dann muss der Mensch die Folgen und Konsequenzen seiner Entscheidungen erfahren.
Gottes Zorn muss auch aus seiner Liebe verstanden werden. Gottes Zorn ist die zurückgewiesene Liebe, die den anderen loslässt und Freiheit zugesteht, auch wenn der andere davon Schaden nimmt. Und dabei behält Gott unaufhörlich die Hoffnung, dass ein Mensch doch den Weg zurück findet.
Am Kreuz nimmt Jesus nicht den Zorn Gottes auf sich, es ist der Zorn der Menschen. Und Gottes Reaktion ist weder Vergeltung, Hass oder Rache, sondern Worte der Versöhnung, Vergebung und Liebe.
Bleibt die Frage: Warum musste Jesus dann sterben? Und wie kann man die Sache mit dem Kreuz dann verstehen?
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