Schwarze Pädagogik, Erbsünde und die Kategorie "Mensch"

Früher habe ich immer mit den Augen gerollt, wenn in der Straßenbahn hilflose Mütter verzweifelt versuchen, ein mit rotem Kopf wild schreiendes wütendes Etwas zu bändigen. Als unser Sohn dann unterwegs war, hat sich das mit dem Augenrollen gelegt. Stattdessen gab es eine dunkle Vorahnung dessen, was da auf mich selber zukommen würde.

Natürlich kenne ich mittlerweile diese Ausraster und Wutanfälle. Die gute alte Trotzphase eben. Da wir in der Erziehung unseres Sprösslings alles richtig machen wollen, liest meine Frau verschiedene Bücher zum Thema (und erklärt mir dann, was ich beachten soll – bei uns gibt es noch eine klare Rollenverteilung).

Das ist teilweise recht erhellend. Babys sind beispielsweise so einer Art Pantheismus verfallen. Alles ist eins. Mutter, Baby, Vater, der Stuhl, der Tisch – alles eins. Sie haben also noch nicht gelernt, zwischen sich und der Umwelt zu unterscheiden. Das kann schon einmal zu Frust führen, wenn nämlich der Vater nicht so einfach zu bewegen ist, wie ein Stuhl.

Irgendwann, so ab anderthalb bis zwei Jahren, kommt dann die Trotzphase. Die Kleinkinder können sich nicht in Worten ausdrücken und erleben das als Frust. Außerdem haben sie noch nicht gelernt, Bedürfnisse aufschieben zu können. Dann ist es vielleicht mal langweilig oder die Müdigkeit kommt hinzu. Lauter Möglichkeiten auszurasten. Psychologisch erklärbar. Das ist eben so.

Aus verschiedenen Predigten vergangener Tage oder auch Büchern sind mir aber auch andere Erklärungsmuster bekannt. Da wurde die frühkindliche Entwicklung als Beleg dafür angeführt, dass wir Menschen von der Erbsünde infiziert worden sind. „Ich habe meinem Kind nicht beigebracht, wie es ausrasten, zornig sein oder lügen kann. Das hat es von ganz allein gekonnt“. Warum? Weil jedem Menschen seit dem Sündenfall die Sünde angeboren ist. Sie wurde uns von Adam weitervererbt. Das Dichten und Denken des Menschen ist böse, von seiner Jugend an. (1.Mose 6)

Auch in der Pädagogik hat es eine Zeit gegeben, in der man davon ausging, dass der Mensch von Grund auf schlecht, sündig und böse sei. Man glaubte, Ziel der Pädagogik sei es, den Kindern ihre „böse Natur“ auszutreiben zu müssen. Notfalls auch mit Gewalt. (Leider ist das alles nicht sehr lange her. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es erst seit dem Jahr 2000 ein Gesetz, was Kindern ein Recht auf gewaltfreie Erziehung zuspricht.)

Aber ist dieses Menschenbild nicht biblisch? Werden Menschen in der Bibel nicht als verlorene Sünder angesehen? Und heißt es nicht, wir sollen die Sünde hassen (aber den Sünder lieben)?

Manchmal scheint es, als müsse die christliche Botschaft vor einem möglichst dunklen Hintergrund verstanden werden, um hell zu leuchten. Nur dann, wenn das Wesen des Menschen als völlig verdorben, unfähig zum Guten und durch und durch sündig charakterisiert wird, erst dann könne man verstehen, was Gnade ist. Denn die gebe es nur für die Unwürdigen. Der Mensch an sich sei wertlos, nur durch Gottes grund- und bedingungslose Liebe bekomme er seinen Wert.

Die Realität ist aber anders. Wir sehen, dass Menschen sowohl schlechte, wie auch gute Seiten und Momente haben. Wir sehen, dass Menschen zu ganz unterschiedlichen Taten fähig sind, wie eben auch zu guten. Und das – man glaubt es kaum – sogar bei Menschen, die nicht an Gott glauben. Muss man das nicht ernst nehmen und wertschätzen? Oder geht dadurch etwas vom Evangelium oder von Gottes Gnade verloren?

In der hebräischen Bibel wird Sünde nicht als etwas Seinsmäßiges verstanden. Der Mensch ist nicht Sünde. Das wird schon auf den ersten Seiten der Bibel deutlich:

Warum bist du so zornig?«, fragte der Herr ihn (das ist Kain). »Warum blickst du so grimmig zu Boden? Ist es nicht so: Wenn du Gutes im Sinn hast, kannst du frei umherschauen. Wenn du jedoch Böses planst, lauert die Sünde dir auf. Sie will dich zu Fall bringen. Du aber sollst über sie herrschen!« 

– 1.Mose 4

Die Sünde wird hier poetisch mit einem Raubtier verglichen, was Menschen anfallen und zur Strecke bringen kann. Sünde ist eher etwas von außen, weniger von innen. Der Mensch hat aber die freie Entscheidung, ob er der Sünde nachgibt.

Wie ist es mit Jesus? Er spricht davon, dass Menschen harte oder böse Herzen haben können, aus denen allerlei böse Dinge kommen können, wie zum Beispiel Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, Lüge und Verleumdung (Mt 15,19). Aber Jesus redet eben auch von Menschen mit reinen und guten Herzen (Mt 5,8; 12,35).

Liest man die Evangelien, dann wird deutlich, dass für die Zeitgenossen Jesu der Begriff „Sünder“ nur auf bestimmte Menschen zugetroffen hat. Es war häufig ein Gegenbegriff zu den „Gerechten“. Der Begriff Sünder war daher eine Kategorie der Abgrenzung: Sünder, das sind die anderen. (Man denke beispielsweise an den Frommen aus Lk 18, der betete im Tempel: Ich danke dir Gott, dass ich kein Sünder bin – Lk 18,11, hier werden diese Kategorien subversiv hinterfragt). Da geht es auch um die Frage der Zugehörigkeit. Weniger um die Frage des Seins. Aber genau diese Kategorien werden im NT aufgebrochen, wenn es z.B. bei Paulus heißt, dass alle Sünder sind und genauso alle zu den Gerechten zählen können.

Kann es sein, dass es Jesus weniger darum ging, die Kategorie „Sünder“ auf alle Menschen auszuweiten, als eher die Kategorie „Mensch im Ebenbild Gottes“ für alle geltend zu machen?

Dabei geht es nicht darum, menschliche Dunkelheit auszublenden, zu beschönigen und wegzusehen. Außer Frage steht auch, dass wir Menschen Gottes Vergebung, Gnade und Rettung brauchen und auf Gottes Hilfe angewiesen sind. Es geht vielmehr darum, wie wir Menschen nun begegnen? Wir sollten Menschen weder über ihre dunkelsten Momente definieren, noch daran, zu was sie fähig sind.

Immer dann, wenn wir Menschen in eine Kategorie packen, die ihnen ihren Wert und ihre Würde abspricht, setzen wir einen bestimmten Prozess in Gang. Denn die Art und Weise, wie wir über Menschen denken, wird sich irgendwann darin ausdrücken, wie wir Menschen behandeln.

Anders ausgedrückt, wenn jedem Menschen unendlicher Wert durch das Prädikat „Ebenbild Gottes“ angerechnet werden muss, dann führt das zu einem völlig anderen Umgang.

vom Jason


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Kommentare

2 Antworten zu „Schwarze Pädagogik, Erbsünde und die Kategorie "Mensch"“

  1. Avatar von Uli Marienfeld
    Uli Marienfeld

    Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa

    und vielleicht sollten wir den Begriff „Trotzphase“ durch „Willensbildungsphase“
    Dieser Prozess ist für Kinder wie Eltern von Bedeutung. Alle Beteiligten werden verändert.

  2. Avatar von Jason

    Stimmt, der Begriff „Trotzphase“ hat nur das Kind im Blick. Willensbildung ist zudem positiv besetzt. Es ist eben etwas anderes, ob man bei der Willensbildung hilft, oder den Willen brechen muss. Gefunden bei Wiki:

    „Unter der ‚Schwarzen Pädagogik‘ verstehe ich eine Erziehung, die darauf ausgerichtet ist, den Willen des Kindes zu brechen, es mit Hilfe der offenen oder verborgenen Machtausübung, Manipulation und Erpressung zum gehorsamen Untertan zu machen.“
    – A. Miller: Evas Erwachen, 2001

    Gruß

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