Advent II: Es wird ungemütlich

file0001890507008In jener Zeit trat Johannes der Täufer in der Wüste von Judäa auf und verkündete: »Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.« Johannes war der, von dem der Prophet Jesaja sagt: »Hört, eine Stimme ruft in der Wüste: ›Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet seine Pfade!‹« Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaar und um seine Hüften einen Ledergürtel; Heuschrecken und wilder Honig waren seine Nahrung. Die Einwohner Jerusalems sowie die Bevölkerung von ganz Judäa und von der gesamten Jordangegend gingen zu ihm in die Wüste; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen. Es kamen auch viele Pharisäer und Sadduzäer zu Johannes, um sich taufen zu lassen. Zu ihnen sagte er: »Ihr Schlangenbrut! Wer hat euch auf den Gedanken gebracht, ihr könntet dem kommenden Gericht entgehen? Bringt Frucht, die zeigt, dass es euch mit der Umkehr ernst ist, und meint nicht, ihr könntet euch darauf berufen, dass ihr Abraham zum Vater habt. Ich sage euch: Gott kann Abraham aus diesen Steinen hier Kinder erwecken. Die Axt ist schon an die Wurzel der Bäume gelegt, und jeder Baum, der keine guten Früchte bringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen. Ich taufe euch mit Wasser ´als Bestätigung` für eure Umkehr. Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich; ich bin es nicht einmal wert, ihm die Sandalen auszuziehen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Er hat die Worfschaufel in der Hand und wird damit die Spreu vom Weizen trennen. Den Weizen wird er in die Scheune bringen, die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen.« (Matthäus 3,1-12)

Johannes der Täufer macht einen recht unentspannten Eindruck. Sein Klamottenstil war eher seltsam. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er nach Lavendel und Bergamotte duftete. Sein verzottelter Bart zog sicher die eine oder andere Biene an, wenn er sich mal wieder mit wildem Honig bekleckert hatte. Und nicht nur sein Äußeres war gewöhnungsbedürftig, er verhielt sich auch alles andere als stromlinienförmig. Es ist sicher nicht übertrieben zu sagen, er war auf Krawall gebürstet. Und doch ist er schon beinahe so etwas wie der Schutzheilige der Adventszeit.

Johannes ist zu sperrig, als dass er sich in unsere Vorstellungen von besinnlicher Vorweihnachtsstimmung einfügen ließe.
Wie würden wir auf jemanden wie ihn wohl heute reagieren?

Im Grunde befand der Sohn der Elisabeth und des Zacharias sich in guter jüdischer Gesellschaft, denn die Propheten des Alten Testaments waren ebenfalls keine angepassten Duckmäuser gewesen. Tatsächlich gilt Johannes als letzter Prophet der „alten Garde“, und nach hunderten von Jahren ohne einen solchen lechzte das Volk förmlich nach jemandem, der –  ausgestattet mit Gottes Autorität – der Wahrheit endlich wieder eine klare Stimme verleihen würde. Daraus erklärt sich, warum der Täufer so viel Zulauf bekam, obwohl er sich in die Wüste zurückgezogen hatte. Er hielt sich nicht im politischen, kulturellen und religiösen Zentrum auf. Sondern mitten in der Einöde, im Niemandsland sozusagen. Dafür verursachte er ein ganz schönes Getöse.
Später würde ihn König Herodes übrigens als Aufrührer hinrichten lassen.

Johannes’ unbequeme Seite kommt in der zweiten Hälfte des Textes unmissverständlich zum Ausdruck.
In unserer individualistischen Wohlstands- und Leistungsgesellschaft steht das einzelne Ego häufig auch in christlichen Subkulturen so sehr im Zentrum, dass wir die Botschaft auf eine rein private Bußaufforderung heruntergekocht haben: Leg DU Rechenschaft über DEIN Leben ab. Bist DU auf der sicheren Seite? Lebst DU auch fromm genug? Hast DU Jesus DEIN Leben gegeben? Hast DU ihn in DEIN Herz gelassen, damit er in DEINEM Inneren Ordnung schafft? Wo sind DEINE guten Früchte?

Wir vergessen nur allzu oft, dass die biblischen Schriften von Menschen verfasst wurden, die ihr Leben in politischer Unterdrückung zubrachten. Für uns ist es im einundzwanzigsten Jahrhundert im Zentrum Europas bisweilen eine extrem schwierige Übung, dies herauszuhören.

Zu Johannes‘ Zeit lebten die Menschen im langen und beklemmenden Schatten des römischen Imperiums. Viele von ihnen setzten ihre Karten auf das religiöse Establishment, deren Vertreter hier so harsch verurteilt werden.
Zu den Sadduzäern gehörten hauptsächlich die Vornehmen und Reichen, meist handelte es sich um Priesterfamilien, welche die Vorzüge der griechisch-römischen Lebensweise zu genießen wussten und sich gut bis prächtig mit der Besatzungsmacht arrangiert hatten. Die Pharisäer (zu Deutsch etwa „die Abgesonderten“) waren hingegen eine vom Volk geschätzte Laienbewegung, die sich durch ihre Gesetzestreue auszeichnete, deren Angehörige Jesus aber in Fortsetzung des Dienstes seines Cousins wiederholt anklagte. Die Gründe? Versteifung auf Äußerlichkeiten, unbarmherzige Auslegungen der Thora, Selbstgerechtigkeit, peinliche Distanzierung von Randgruppen.
Die Vorgehensweisen beider Gruppen wurden sowohl von Johannes als auch von Jesus in aller Deutlichkeit als Irrwege entlarvt.

Und doch nahmen viele Johannes‘ Gerichtsworte offenbar als gute Nachricht auf. Die Zuversicht wuchs, dass das Blatt sich zugunsten der Unterdrückten wenden werde, dass der entscheidende Handlungssprung in der Geschichte Israels, ja der Welt unmittelbar bevorstehe.
Johannes selbst kündigte hier den an, der nach ihm komme, um das neue Zeitalter einzuläuten.
Höchste Zeit für den Messias!

Angesichts desjenigen, der (im Unterschied zu Caesar!) wirklich Herr ist, angesichts des Heilands, der gekommen ist, kommen wird und auch jetzt zu uns kommt, sollten wir uns einer Reihe von Fragen aussetzen. Diese werden mich zwangsläufig eher lähmen als motivieren, wenn ich sie einfach nur als Vorwürfe an mich als Einzelnen verstehe. Oder ich wende die Botschaft ins Private, so dass sie nur noch Relevanz für meine Frömmigkeit hat. Wenn ich mich aber nicht als Einzelkämpfer verstehe, sondern als Teil einer Bewegung, können Fragen wie die folgenden eine große Triebkraft entwickeln:

Wo müssen WIR umkehren und aufhören zur Unterdrückung derer beizutragen, die auf der Schattenseite leben? Wo haben WIR religiöse Lebensführung als Vorwand benutzt, UNS in UNSERER Privilegiertheit einzurichten? An welchen Stellen können WIR UNS denen zuwenden, die Zuwendung benötigen? Auf welche Weisen haben WIR genau diese Menschen außen vor gelassen und sogar abgewertet? Wie können WIR Frucht bringen, die zeigt, dass es UNS mit der Umkehr ernst ist, und die einen Unterschied bewirkt? Wann werden WIR etwas tun gegen die systemischen Ungerechtigkeiten, die nach wie vor diese Welt dominieren und in die WIR selbst involviert sind?

Das sind Adventsfragen, die sich gewaschen haben.
Was uns nicht verwundern sollte.
Denn es sind Fragen im Geiste eines Täufers.

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